Mit „Civil War“ präsentiert Alex Garland die Zerschlagung eines Imperiums; den Untergang der westlichen Zivilisation. Eine Apokalypse, die sich vor allem (auch mit den Stilmitteln eines modernen Blockbusters) an ein US-Massenpublikum richtet und dieses erschüttern will.
Offizielle Synopsis: In Amerika herrscht Bürgerkrieg. Das Land ist bis aufs Mark zerrüttet. Die Kriegsjournalisten Lee (Kirsten Dunst) und Joel (Wagner Moura) werden Zeugen von unvorstellbaren Entwicklungen – denn ein brutaler Konflikt droht ein gänzlich unvorbereitetes Land in Schutt und Asche zu legen.
Als Alex Garlands „Civil War“ (2024) auf dem diesjährigen SXSW-Filmfestival seine Weltpremiere feierte, überschlugen sich die US-amerikanischen Kritiker mit Lobeshymnen. Von einem neuen „Apocalypse Now“ (1979) war gar die Rede; ein Film, der das Publikum bis ins innerste Mark tief erschüttern wird. Außerhalb der USA waren die Reaktionen allerdings (im Vergleich) etwas verhaltener. Und dies ist durchaus interessant zu erwähnen. „Civil War“ versteht sich als ein amerikanisches Werk, welches nicht nur ur-amerikanische Ängste bedient, sondern der US-amerikanischen Bevölkerung im wohl historischen Wahljahr 2024 eine mögliche Zukunft präsentieren möchte, die extrem dicht an der Realität zu sein scheint. Dem US-Publikum werden hier Bilder präsentiert, die es so nur aus fernen Ländern kennt; allerdings vermischt mit amerikanischer Ikonografie. Nicht nur bewaffnete Konflikte, sondern die vollkommene Zersplitterung des eigenen Landes, der eigenen Gesellschaft, der eigenen „one nation under God“. Der selbst auferlegte Wahlspruch „E pluribus unum“ wurde gebrochen. Amerikaner schießen nicht nur auf Amerikaner, sie meucheln, foltern, demütigen, jagen, vergewaltigen sie. Gleich zu Beginn des Films sprengt sich ein Selbstmordattentäter inmitten von Demonstranten und Polizisten in die Luft. Wohlgemerkt ein US-amerikanischer Selbstmordattentäter mit der wehenden US-Flagge in der Hand. Bilder, die die amerikanischen Zuschauer allerhöchstens mit dem Irak-Krieg assoziieren, als die Leichen amerikanischer Sicherheitskräfte an Brücken aufgehängt wurden.
Garland gelingt bei seiner Darstellung des Konflikts ein narrativer Kniff, der auf den ersten Blick keinen Sinn zu ergeben scheint, aber als raffiniert konstruiert zu bezeichnen ist. Als der erste Trailer zum Film präsentiert wurde, offenbarte sich eine Karte mit den neuen politischen Verhältnissen. Die Republik von Kalifornien und die Republik von Texas, nun unabhängige Staaten, haben sich mit der sogenannten Florida Alliance (das Gros der Südstaaten) zu den Western Forces verbündet, um den Präsidenten der Vereinigten Staaten und somit die USA an sich zu stürzen. Die Sezession geht jetzt von liberalen und progressiven Kräften aus, die mit ihren libertären als auch konservativen Gegenparts ein Zweckbündnis eingehen, um den gemeinsamen Feind niederzuringen. Kein fiktiver faschistischer Staat hat sich abgespalten, kein Gilead formiert, es fand auch keine Renaissance der Konföderation statt (ein extrem populäres Motiv im „Alternate History“-Bereich), sondern die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich unter ihrem amtierenden Präsidenten, gespielt von Nick Offermann, in einen autoritären Staat verwandelt. Die USA, und alles, für was sie stehen, sind der Feind. Zumindest wird dies suggeriert.
Ob die Behauptung, dass die US-Regierung vollends faschistoid geworden ist, auch tatsächlich der Wahrheit entspricht oder nur eine Rechtfertigung einer der Kriegsparteien darstellt, eine Art von akzeptierter Lüge, um den Krieg fortzuführen, wird nie vollends offenbart oder unabhängig verifiziert. Der kalifornische Gouverneur Hiram Johnson soll während des Ersten Weltkrieges den Satz geprägt haben, dass das erste Opfer des Krieges die Wahrheit ist. Der Vietnam-Krieg, der letztlich über zwei Millionen Opfer forderte, begann mit dem sogenannten Tonkin-Zwischenfall, … welcher nachweislich nie stattfand. Dies mag auch für den „Civil War“ gelten.
Auslöser für den „Civil War“ ist eine dritte Amtszeit des Präsidenten. Verfassungswidrig, aber historisch nicht unüblich. Erst nachdem Franklin. D. Roosevelt seine vierte Amtszeit antrat, entschied man sich zur Limitierung der Legislaturperioden. Vielleicht fürchtete der Präsident im Film, dass nur er das Land zusammenhalten kann, wenn auch mit autoritären Maßnahmen; vielleicht auch nicht. Vielleicht ist er der Faschist im Amt, vielleicht auch nur zu einer Feindfigur hochstilisiert wurden. Vielleicht existierten bereits Bestrebungen zur Sezession einiger Staaten, die es nur mit antidemokratischen Mitteln zu verhindern galt, vielleicht auch nicht. Vielleicht fand das (im Film erwähnte) Antifa-Massaker, das dem Präsidenten angehängt wurde, nie in dem Ausmaße statt, wie es in den Medien dargestellt wurde. Vielleicht aber doch. Wir leben in einem post-faktischen Zeitalter, demnach bleibt „Civil War“ auch vage; oder zumindest vage genug, um Interpretationen zuzulassen. Die sozio-kulturellen, ökonomischen und politischen Ereignisse, die letzten Endes zu diesem Konflikt führten, werden nur nebensächlich erwähnt. Es wird überhöht, es wird untertrieben. Interpretationen aus einer stets subjektiven Perspektive; Wahrheiten für den Moment, um eben diesen zu überleben. Verweise auf Donald Trump, der ebenfalls eine dritte Amtszeit anstrebt, sind in der ersten Minuten vorhanden – bestimmte Manierismen, die Nick Offerman in seinem Spiel übernimmt –, aber nie klar genug, um definitive Schlüsse zu ziehen.
Im Hier und Jetzt zählen diese „Details“ sowieso nicht mehr. Die Kriegsmaschine rollt unaufhaltsam voran; sie kann nicht mehr gestoppt werden. Es existieren nur noch Momente; oder eher Momentaufnahmen. Sie werden diesen Krieg über Generationen hinweg definieren; eine eigene, in sich abgeschlossene Realität darstellen; sie sind die Motivation der Protagonisten. Der eine Shot, der in die Geschichte eingehen wird. „The Falling Soldier“ (1936) von Robert Capa, „Raising the Flag on Iwo Jima“ (1945) von Joe Rosenthal, „The Terror of War“ (1972) von Nick Ut, „Tank Man“ (1989) von Stuart Franklin … oder die Erstürmung und Inhaftierung des US-Präsidenten in „Civil War“.
Garland begeht hierbei nicht den Fehler zu viel zu offenbaren. Der Zuschauer soll Teil des Geschehens sein; erfährt nur so viel, wie die Umgebung preisgibt. Hierbei durchbricht „Civil War“ auch die vierte Wand, blendet Schnappschüsse der Kriegsfotografen ein, die das fiktive Geschehen realer wirken und den Zuschauer gleichzeitig verstehen lassen, dass dieses eine Bild, dem die Journalisten hinterherjagen und welches als Exempel für einen ganzen Krieg herhalten wird, nur eine Momentaufnahme sein kann. Aber eine, die die Erinnerung an dieses Ereignis prägen wird. Für diesen einen Shot geben die Protagonisten alles. Sie sind Getriebene der Sensationslust; ihrer eigenen und der Massen. Die Grenzen zwischen Objektivität und Subjektivität müssen hierbei verschwimmen. Der schiere Wahnsinn, dem sie ausgeliefert sind, den sie festhalten müssen, wird seinen Tribut zollen. Mit der Entscheidung, dem Krieg bis nach Washington D.C. zu folgen, beginnt eine Reise in das berühmte Herz der Finsternis. Während Lee Smith (Kirsten Dunst) sich als etablierte Kriegsfotografin wandelt, eine Art von Shell Shock entwickelt, verfällt ihr Protegé Jessie (Cailee Spaeny) der Sensationslust. Es gilt dem besten Foto hinterherzujagen; bis zum bitteren Ende.
Für Garland ist der fiktive Konflikt nur ein Aufhänger, um die Geschichte der Kriegsreporter zu erzählen. Diejenigen, die versuchen, das Geschehen greifbar zu machen. In der Darstellung ist er überraschend ehrlich. Er kritisiert die Sensationslust, ohne aber das eigene Opfer der Kriegsberichterstatter zu ignorieren. In der ersten ruhigen Minute des Films sehen wir, wie Hauptdarstellerin Dunst in der Badewanne hockend ihre Karriere resümiert. Flashbacks von Konflikten auf der ganzen Welt werden eingeblendet, so auch vom afrikanischen Kontinent. Sicherlich keine zufällige Parallele. Erinnerungen an den „Bang-Bang Club“ werden wach, deren Mitglieder versuchten, das ganze Grauen des Unabhängigkeitskrieges in Südafrika fotografisch zu dokumentieren. Darunter nicht nur Kriegsverbrechen des Apartheid-Regimes, sondern auch des African National Congress, Nelson Mandelas Partei. Der „Bang-Bang Club“ umfasste vier Mitglieder; zwei von ihnen starben, einer verlor seine Beine. Der körperlich einzig unversehrte Fotograf war Greg Marinovich, der für den Rest des Lebens mit seelischen Problemen zu kämpfen hat. Marinovich gewann 1991 den renommierten Pulitzer-Preis für seine Fotografie der Tötung von Lindsaye Tshabalala. Dieser wurde von Mitgliedern des African National Congress der Spionage verdächtigt und bei lebendigen Leib verbrannt. So schrieb Marinovich über den Vorfall:
„Das war ohne Zweifel der schlimmste Tag meines Lebens. Das Trauma bleibt mir trotz der zwanzig Jahre und häufiger Auseinandersetzung mit dem Vorfall, meiner Rolle und mit dem, was es heißt, in einen Mord verwickelt zu sein. Dieser Mord passierte einen Monat nachdem ich den Mord in Nancefield Hostel erlebt hatte und ich war entschlossen, mich von der Rolle des Beobachters zu lösen. Ich habe ihn weder gerettet, noch mich erlöst, dennoch habe ich nicht schändlich gehandelt.“
„Civil War“ greift dieses reale Grauen auf und verfrachtet es in ein US-amerikanisches Setting. Die Vergewaltigungen, die Meuchelmorde, die Flüchtlingsströme, die Massengräber, die marodierenden Mobs und zufällig erscheinenden Hinrichtungen, die allesamt an den Protagonisten und somit den Zuschauern nur vorbeiziehen, finden nun auf US-Boden statt. Ausgelöst durch einen Konflikt mit der Regierung der USA, deren Ikonen am Ende fallen werden. Ein doppelter Schock für das US-Publikum, deren Innenstädte auf der großen Leinwand in den letzten Jahrzehnten in erster Linie durch Naturkatastrophen oder Alien-Invasionen heimgesucht wurden. Die eingangs erwähnten Reaktionen sind vor diesem Hintergrund nur verständlich. Der erwähnte Feind sind die USA und alles, was für sie steht. Was nach diesem fiktiven Konflikt kommen wird, bleibt offen, wird aber angedeutet. Es ist nur schwer vorstellbar, dass das Zweckbündnis der Republic of California und der Republic of Texas halten wird. Der Feind, die USA, sind besiegt; ihre Monumente und Ikonen vernichtet. Dies bedeutet aber nicht, dass es neue United States geben wird oder überhaupt kann. Alles, wofür das alte Land stand, wird mit einem finalen Schuss hingerichtet. Ein Schuss, der für Generationen hinweg perfekt eingefangen wird.
Alex Garlands „Civil War“ richtet sich in erster Linie an ein US-amerikanisches Massenpublikum. Die eigentliche Storyline ist straight-forward, besitzt kaum nennenswerte Wendungen oder Überraschungen. Eigentlich untypisch für den britischen Autoren und Filmemacher. Und vielleicht auch der Grund, warum er nach eigener Aussage die Liebe zum Film verloren hat. 80 Millionen US-Dollar investierte A24 in „Civil War“; ihr bis dato größtes Projekt. Erst im Herbst letzten Jahres kündigte das Indie-Studio an, kommerziellere Projekte in Zukunft produzieren zu wollen. Bei der Betrachtung des Films beschleicht einem das Gefühl, dass Garland inhaltlich ursprünglich eine andere Vision verfolgte. Dies wäre allerdings reine Spekulation; auch, weil sich das Werk letztlich als eine visuelle Reise in den Untergang versteht. Die Bilder erzählen die Geschichte; mehr als in jedem anderen Werk des Regisseurs.
„Civil War“ bedient sich auch Elementen des modernen Blockbuster-Kinos; besonders ersichtlich bei der Erstürmung Washington D.C.s. Garland eröffnet das Grand Finale seines Films mit einem ästhetischen Coup, der mit der vorab etablierten Inszenierung bewusst bricht und sich nun vollends dem populären Action-Kino hingibt. Es sind eben genau diese (im Kontext des Films irritierenden) Money-Shots des letzten Akts, die die Sensationslust des Zuschauers nach einem spektakulären Höhepunkt befriedigen. Damit unterscheidet sich das Publikum nicht mehr von den Protagonisten; ergötzt sich gar am präsentierten Untergangs-Szenario. Abermals wird somit die vierte Wand durchbrochen; es schließt sich in gewisser Hinsicht ein Kreis: Publikum und Protagonisten werden eins. Sie alle wollen den Money-Shot … und sie kriegen ihn.
‐ Markus Haage
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