Mit der sogenannten „Final Season“ von „Star Trek: Picard“ wurde ein kleines Wunder vollbracht. Die „Next Generation“ ruft zu einem letzten großen und vor allem gemeinsamen Abenteuer auf. Für Fans und Trekker ein hochemotionaler und würdevoller Abschied von einer der bedeutendsten Sci-Fi-Serien der letzten vierzig Jahre.
Hätte man mir vor weniger als einer Woche gesagt, dass nicht „The Mandalorian“ (2019–), sondern die dritte Staffel von „Star Trek: Picard“ (2019–2023) das große Sci-Fi-Serien-Highlight des Jahres darstellen würde, so hätte ich eine solche Aussage nur müde belächelt. Die sogenannte „Final Season“, die seit Mitte Februar 2023 auf dem Streaming-Dienst Paramount+ weltweit ausgestrahlt wird, zog an mir vorbei. Ich wusste natürlich, dass sie existiert – bereits vor einem Jahr, direkt nach dem Finale der zweiten Staffel, wurde ein Teaser präsentiert –, aber das Interesse war schlicht verflogen. Die ersten beiden Staffeln konnten mich leider nur mäßig begeistern. Durch puren Zufall schaltete ich an einem Samstagabend die erste Episode ein. Nur nebenbei, wohlgemerkt.
Mit halbem Auge arbeitete ich auf dem Laptop und verfolgte gleichzeitig die erste Folge. Als der Abspann zu Jerry Goldsmiths ikonischen Main Theme aus „Star Trek: Der erste Kontakt“ („Star Trek: First Contact“, 1996) einsetzte und Michael Okudas legendäre Panel-Designs durch das Bild flogen, war es um mich geschehen. Dies hier war anders und doch so vertraut zugleich. Hochqualitativ inszeniert, aber alle Eigenheiten der originalen Fernsehserie umarmend. Durch meine „Ignoranz“ gegenüber dem Release der dritten Staffel befand ich mich in einer absurden Situation. Als Fan kannte ich keinen Spoiler und hatte dadurch vollkommen unerwartet ein ganzes, großes Abenteuer vor mir. Die Reise endete mit den triumphalen letzten Minuten der neunten Episode „Võx“; als die Sonne begann aufzugehen und die ersten Vögel zwitscherten. Es war der perfekte Moment, dem die wohl schönsten acht Fernsehstunden der letzten Jahre voraus gingen. So, als wäre man nach langer Zeit endlich wieder nach Hause zurückgekehrt. Ein Gefühl der Vollkommenheit. Die legendäre „Next Generation“ hat den Abschied bekommen, der ihnen über Jahre verwehrt wurde.
Der Ansatz der ersten beiden Staffeln, nur Picard in den Mittelpunkt der Geschichte zu stellen und seine jahrzehntelangen Wegbegleiter lediglich als Nebenfiguren oder Cameos auftauchen zu lassen, forderte einen gewissen Tribut. Neue Figuren und Storylines mussten eingeführt werden, die mit dem Schicksal von Picard, welches in der finalen Episode von „Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert“ („Star Trek: The Next Generation“, 1987–1994) anno 1993 etabliert wurde, in Einklang gebracht werden musste. Picards Ende war ursprünglich bittersüß. Der einst so stolze Kapitän, der alle möglichen Gefahren bewältigen und die Erde sowie die Föderation mehrmals retten konnte, erkrankte unheilbar an einer Nervenkrankheit, die sein altes Ich schwinden ließ. Ein im Kern brutales, aber konsequentes Ende. Noch heute gilt die finale Doppelfolge „Gestern, heute, morgen“ („All Good Things…“) unter Fans als eine der besten „Star Trek“-Geschichten aller Zeiten.
Doch die erste Staffel von „Star Trek: Picard“ negierte dies bereits, gab Picard eine neue Chance und einen neuen Körper. Im Kontext der Serie war dies zumindest vom Konzept her inhaltlich durchaus berechtigt, auch wenn es das große Finale der alten Serie abschwächte, aber mit der Umsetzung haderte man. Den Machern war dies natürlich bewusst. „Star Trek: Picard“ sollte neben einer neuen Trek-Serie namens „Star Trek: Discovery“ (2017–) die „alten“ Fans zurückholen und vielleicht auch beschwichtigen. „Discovery“ wurde teils scharf kritisiert. Die Serie sei zu düster, zu hoffnungslos, zu actionreich und ihre Figuren zu weinerlich. Die Tatsache, dass in der dritten Staffel zudem epochale Großereignisse im Trek-Universum eingeführt wurden („Der Brand“), die alles nicht nur verändern, sondern damit auch gleichzeitig neu ausrichten sollten, stieß ebenfalls auf Unmut. Man hatte zumindest das Gefühl, dass hier auf brachiale Weise ein neues „Star Trek“ erschaffen werden sollte, um sich vom angeblichen Ballast des alten Kanons zu befreien.
Die Abenteuer von Kirk, Picard, Janeway, Sisko und Co, wären nicht ausgelöscht wurden, aber ein neues Zeitalter hatte begonnen, welches die alten Helden endgültig in die Geschichtsbücher verdammen sollte. Vielleicht eine notwendige Idee – früher oder später muss jedes Franchise sich neu ausrichten (auch der „Next Generation“ standen einige alte Fans anfangs extrem kritisch gegenüber) –, aber keine elegante Umsetzung. „Discovery“ wird wohl wie „Star Trek: Enterprise“ (2001–2005) auf ewig unter Fans diskutiert werden. Um die Wogen zu glätten, produzierte man eine weitere Serie. Mit „Star Trek: Strange New Worlds“ (2021–) begab man sich in die Zeiten des klassischen Treks zurück: episodenhafte Abenteuer in den „unendlichen Weiten“ mit einem augenzwinkernden Charme. „Strange New Worlds“ stellt inhaltlich als auch inszenatorisch die wohl beste moderne Adaption dar. Zumindest bis zur „Final Season“ von „Picard“.
Dieser arg zusammengefasste Verlauf der letzten fünf Jahre zeigt auf, wie vielfältig die Trek-Gemeinde mittlerweile geworden ist. Nach fast sechzig Jahren, mehreren Fernsehserien und Filmen auf allen denkbaren Medien, umfasst die Community nun Fans aus allen Jahrgängen. 80-jährige, die die originale Serie Ende 1966 im Fernsehen als Teenager sahen, genauso wie 14-jährige, die die das Trek-Universum via Amazon Prime oder Netflix als Stream vor wenigen Jahren erstmalig entdeckten. Es ist somit schlichtweg unmöglich jeden Fan zufrieden zu stellen und doch schaffte „Star Trek: Picard“ dies mit der „Final Season“ anscheinend. Unter den Top Critics auf RottenTomatoes.com erhielt die dritte Staffel eine wahnsinnige Wertung von 100 % (Stand: 14. April 2023); die User gaben ihr 92 %. Die schlechteste Episode der zweiten Season erhielt auf der IMDb von den Zuschauern eine 5.2, die schlechteste Episode der „Final Season“ wurde mit einer 8.4 bewertet. Dies sind nur Exempel. Aber wie konnte es zu solch einen Umschwung kommen? Nun, die Antwort ist wohl recht einfach: die Serie kehrte schlichtweg zum Kern des Franchises zurück. „Star Trek“ ist und war stets eine „family affair“.
Über die Jahre wuchs man mit den Charakteren auf; verfolgte ihre größten Triumphe, aber auch schrecklichsten Niederlagen, während man selber durch das Abenteuer Leben schritt. „Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrtausend“ lief über sieben Jahre; durchlebte und überlebte alle Höhen und Tiefen der modernen Film- und Fernsehlandschaft. Es folgten vier Kinofilme und zahlreiche Computerspiele, Comics, Romane und natürlich Spielzeugfiguren. Aber letztlich waren dies immer nur weitere Inkarnationen derselben Familie. Eine Familie von Charakteren und Fans, die über die Jahre zusammenwuchs. Dies kann man nicht schreiben oder planen – egal, wie viel Geld man zur Produktion in die Hand nimmt –, es wächst einfach, und zwar von ganz alleine.
Natürlich zehrt die „Final Season“ von einer gewissen Nostalgie, letztlich ist es aber schlichtweg nur die Welt, in der die Charaktere leben. Nostalgische Momente oder Referenzen dienen nicht dazu, kurze Euphorie auszulösen. Es sind Momente und Ereignisse, die die Figuren und die Zuschauer zusammengeschweißt haben. Dieselben Erlebnisse. Auch als Fan ist man Teil dieser Welt; hat bei den Abenteuern mitgefiebert, sich gefreut oder gar getrauert. Sicherlich auch gestritten und diskutiert. Erinnerungen und Emotionen werden wach; nicht nur an die Abenteuer der Crew, sondern auch an die eigenen. Wo stand man im Leben als die finale Episode der „Next Generation“ lief? Jeder Zuschauer hat darauf eine ganz eigene, persönliche Antwort. Manch einem Trekker halfen Handlungsstränge dabei, tiefe Phasen der Trauer oder Depression zu überstehen. Und sei es nur als Flucht aus der Realität. Andere wiederum begeisterte und ermutigte das Grundkonzept der Serie dazu, nicht nur von den Sternen zu träumen, sondern auch zu ihnen zu reisen.
Alle Erfolge, Träume, Hoffnungen, aber auch Fehlentscheidungen und Niederlagen des Lebens manifestieren sich in den Erinnerungen an die Serie. Die Abenteuer in den unendlichen Weiten des Weltraums wurden immer gemeinsam bestritten. Auf und vor der Mattscheibe. Dies erkannte selbst Partick Stewart und sah es als Fehler an, dass die ersten beiden Staffel nur seinen Charakter im Fokus hatten.
Das Produzenten-Team der „Final Season“ hatte dies verstanden und der „Next Generation“ und somit den Fans ein fulminantes Ende gegeben. Die „Final Season“ stellt inszenatorisch den elften Kinofilm und dramaturgisch die achte Staffel von „Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrtausend“ dar. Ein würdevoller Abschied, der der Crew und den Fans stets vergönnt war. Mit der „Final Season“ rief die „Next Generation“ zu einem letzten Abenteuer auf, zu einer letzten großen und gemeinsamen Reise.
‐ Markus Haage
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