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Scary Stories to tell in the Dark (USA, 2019)

verfasst am 19.September 2019 von Markus Haage

(© Entertainment One Germany)

Mit „Scary Stories to tell in the Dark“ verfilmt der norwegische Regisseur André Øvredal einen US-amerikanischen Kinderbuchklassiker. Geister, Vogelscheuchen, Monstren! Sie alle treten auf, um den Zuschauer das Fürchten zu lehren. Was ein bloßer Gruselfilm hätte werden können, entpuppt sich schnell als ein smartes Schauermärchen, welches tief in der US-amerikanischen Mythologie verwurzelt ist und sich nicht davor scheut auf kluge Weise Kultur- und Gesellschaftskritik zu üben.

Im Jahr 1968 in der Kleinstadt Mill Valley in den USA. Eine Gruppe von Teenagern, angeführt von einem Mädchen namens Stella, stolpern in einem verlassenen Haus über ein mysteriöses Buch, das einst von einer gewissen Sarah Bellows geschrieben wurde. Das Mädchen verfügte über geheimnisvolle Kräfte, die sich in Kurzgeschichten, die sie in diesem Buch niederschrieb, manifestierten. Statt von den Teenagern gelesen zu werden, liest das Sarahs Buch nun deren Gedanken und beschreibt so unheimliche Geschichten rund um deren Ängste, die vollends Realität werden…

Ein Haus auf Lügen errichtet.
(© Entertainment One Germany)

Man könnte „Scary Stories to tell in the Dark“ als bloßen Gruselfilm darstellen und würde damit nicht besonders falsch liegen. Oberflächlich bietet Øvredals Werk all das, was eine Achterbahnfahrt des Grauens ausmacht. Gekonnt und pointiert inszeniert, verbindet er die teils seltsamsten Kurzgeschichten der gleichnamigen Romanvorlage miteinander. Auch wenn diese Verknüpfung in einzelnen Momenten sich manchmal etwas künstlich anfühlt, bekommt der Film dadurch eine ganz eigene Dynamik, dessen Seherlebnis wohl nur durch das Marketing eingeschränkt werden könnte. Hat man die Trailer und Spots gesehen, so weiß man als Zuschauer, welche Monstren und Kurzgeschichten behandelt werden. Dies nimmt „Scary Stories to tell in the Dark“ in wenigen Szenen leider den Überraschungsmoment, wofür das Werk an sich natürlich nichts kann. Der Film muss mit den großen Schauwerten promotet werden und dazu gehören in diesem Fall eben die Monstren. Wie eingangs erwähnt, zieht der Film seine wahre Stärke aber aus einer gewissen Subversion. Die Kurzgeschichten wurden um eine große Rahmenhandlung erweitert und damit miteinander verbunden, die sich im Kern kritisch mit den Folgen von Macht, Korruption und Lügen befasst. Diese Thematiken werden vordergründig nicht nur von den phantastischen Elementen bedient, sondern auch durch das zeitliche Setting erweitert. Der Film spielt rund um Halloween anno 1968, als die USA sich mitten in einem wegweisenden Präsidentschaftswahlkampf befanden. Richard Nixon, damals schon unter dem Spitznamen „Tricky Dick“ bekannt, gewann die Wahl. Was folgte, war mit Watergate einer der größten Politskandale der US-amerikanischen Politikgeschichte, der noch viele weitere Skandale dieser US-Administration aufdeckte und als regelrechte Zäsur galt. Das Lügengebäude, welches hier am Rande referenziert wird, spiegelt sich eben nicht nur in den Charakteren wider, sondern stellt letztlich auch den Katalysator der Geschichte dar. So ist es eben die Antagonistin, die die „Scary Stories“ als Realitätsflucht aufschrieb, weil sie selber Opfer von Lügen und Machtmissbrauch durch ihre eigene Familie wurde. Auch hier kann man Referenzen und vielleicht auch eine subtile Kritik an die damals herrschende Schicht finden. Man denke nur an den tragischen Fall der Rosemary Kennedy.

Mit Bravour schafft es Øvredal den Zuschauer die großen Fragen um Schuld und Unschuld mittels phantastischer Elemente zu beantworten. Auch, weil er sich vollends auf die jugendlichen Charaktere konzentriert. Die Welt, wie sie sie erleben, steht im Kontrast zur eigentlichen Wirklichkeit, die sich oftmals erst später offenbart. Als Zuschauer erinnert man sich an seine eigene Kindheit zurück, die rückblickend wohl jeder verklärt. Selbst die dunklen Tage wirken mit jedem weiteren Tag heller. Diese teils naive Verklärung, die sich inszenatorisch auch in der Darstellung der Mythen moderner US-amerikanischer Kultur widerspiegelt – Autokinos, Diners, Cadillacs –, stellt Øvredal bewusst durch Risse der Realität infrage. Eine kleine Meisterleistung, die „Scary Stories to tell in the Dark“ inhaltlich und inszenatorisch weit von der Masse abhebt.

Produzent Guillermo del Toror, Hauptdarstellerin Zoe Colletti und Regisseur André Øvredal am Set des Films.
(© Entertainment One Germany)

Mit extrem viel Liebe zum Detail bettet Regisseur André Øvredal seine Gruselmär in dieses reale Setting ein und zitiert hierbei auch zahlreiche Werke des Phantastischen Kinos. So zum Beispiel George A. Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ („Night of the living Dead“, 1968), der in der realen Welt nur wenige Tage vor den Ereignissen im Film seine Premiere feierte und ebenfalls als Zäsur im Horrorfilm gilt, oder auch Forrest J. Ackermans legendäres Print-Magazin „Famous Monsters of Filmland“. Für Genrefans eine liebevolle Fundgrube an Referenzen, die zu mannigfaltigen Interpretationen einladen. Generell wurden die 1960er-Jahre auf beeindruckende Art zum Leben erweckt. Diese Liebe zum Detail findet sich auch in der Inszenierung wieder. Jeder Höhepunkt, hiermit also die einzelnen Horrorgeschichten, sind unterschiedlich in Szene gesetzt, fügen sie aber dennoch hervorragend ins Gesamtbild ein. Zu keinem Zeitpunkt hat man das Gefühl, ein loses Werk an „Scary Stories“ zu sehen, auch wenn das Zusammentreffen aller Charaktere zum Anfang etwas bemüht wirkt. Für diesen nahtlosen Übergang zeichneten sich auch die Creature Designer verantwortlich, die den Horror vordergründig als Ekel transportieren. Nennenswerte Gewaltdarstellungen existieren kaum – auch wenn man den Film in gewisser Hinsicht schon als „Hard-PG-13“ bezeichnen könnte –, aber das muss es auch nicht. Der Ekel vor dem Gezeigten, wenn beispielsweise ein unglücklicher Teen aus Versehen den halbverwesten großen Zeh einer untoten Wasserleiche isst, ruft den größten Schauer hervor. Aufgedunsene Haut, die nur noch lose an Knochen hängt, aufplatzende Infektionen, aus denen Insekten krabbeln, Fingernägel, die sich tief in den Holzboden hereinbohren. Der Film bedarf keiner zynischen Schockeffekte oder Gewaltakte, sondern ruft den Grusel auf anderen Ebenen hervor. Als Vorlage für die Monstren dienten dem Special-Effects-Team die Zeichnungen von Illustrator Stephen Gammell, die überraschend getreu auf die Leinwand transportiert werden konnten. Aufgrund gewisser Eigenheiten konnten nicht alle Monstren als physische Effekte umgesetzt werden. Aber auch hier gelingt der Übergang überraschend nahtlos.

Die Pale Lady jagt ihr Opfer.
(© Entertainment One Germany)

Mit „Scary Stories to tell in the Dark“ erschuf André Øvredal einen ästhetisch wundervollen und inhaltlich anspruchsvollen Gruselfilm, ohne sich, wie heute in Genrefilmen so üblich, in einem unsäglichen Zynismus zu ertränken. Der Film erinnert an eine hyper-phantastische Zeit voller „Gespenstergeschichten“ und „Tales from the Crypt“, die oftmals ein verzerrtes Spiegelbild der realen Welt darstellten. Eine unglaublich kreative und dynamische Horror-Mär, die dem Zuschauer überraschend pointiert das Fürchten lehrt und den inhaltlich anspruchsvollen Spagat zwischen Schuld und Unschuld mit Bravour leistet.

Markus Haage

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Über Markus Haage 2272 Artikel
Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!