Der Medienmarkt befindet sich in einem radikalen Umbruch. In den letzten zwei Jahrzehnten sind die Auflagen großer Print-Titel drastisch eingebrochen. Die Cinema, einst „Europas größte Filmzeitschrift“, fiel von rund 220.000 verkauften Heften pro Monat auf rund 28.000 innerhalb von zwanzig Jahren. Dies beinhaltet allerdings bereits die Abonnenten, von denen sicherlich viele aus Tradition ihr Abo fortlaufen lassen. Auch andere Titel leiden. Diesen Wandel kann niemand aufhalten, den Print-Journalismus allerdings auch nicht ersetzen.
Erst vor wenigen Wochen geisterte eine Schocknachricht durch die sozialen Netzwerke: Nach 41 Jahren stellte das US-amerikanische SFX-Magazin Cinefex den Dienst ein. Das Print-Magazin galt als eine der einflussreichsten und besten Publikationen im Filmbereich und spezialisierte sich auf die Berichterstattung von Special-Effects-Arbeiten. Cinefex war eine Konstante, immer unvorstellbar, dass diese eines Tages wegbrechen wird. Doch die Corona-Krise war der finale Sargnagel. Mittlerweile hat man sich aber eigentlich an solche Nachrichten schon gewöhnt. Ein Jahr zuvor, im Februar 2020, verkündete Famous Monsters of Filmland die Einstellung ihres Print-Magazins. Nach 61 Jahren musste das wohl bekannteste und prestigeträchtigste Print-Magazin des Phantastischen Kinos aufgeben. Innerhalb von nur zwölf Monaten verlor die Filmwelt somit zwei der einflussreichsten Print-Magazine der vergangenen sechzig Jahre.
Es ist demnach kaum noch möglich ein Print-Magazin selbst auf dem riesigen englischsprachigen Markt zu publizieren, indem alle Parteien, inklusive Autoren, fair (oder wenn überhaupt noch) entlohnt werden können. Bereits in den Jahren zuvor brachen insbesondere im Nischenbereich viele Magazine weg: Video Watchdog, Videoscope, Cinefex, Famous Monsters of Filmland, Gorezone, Starlog, Splatting Image, Cinefantastique, … die Liste ist lang und wird immer länger. Selbst die Fangoria ging unter und wurde mittlerweile zweimal wohl aus reinen Prestigegründen als auch zu Crosspromotionzwecken wiederbelebt – die Marke Fangoria besitzt eben noch eine gewisse weltweite Zugkraft –, hat aber dennoch zu kämpfen. Mittlerweile beträgt der Preis einer regulären Ausgabe 20 US-Dollar, um die Kosten halbwegs zu decken. Die Gründe für das Wegsterben dieser einst so einflussreichen und mit viel Liebe und Kompetenz erstellten Print-Magazine sind fast immer dieselben. Die Abschiedsbotschaft von Video Watchdog vom Oktober 2016 kann dafür exemplarisch stehen:
„Over the last quarter century, we have always depended on newsstand sales, subscriptions, advertising, and—because all of that was still not fully sustaining—side projects in order to continue publishing. We were able to make ends meet so long as all of these facets were working together but, in recent years, it has become a losing battle. There are many reasons for this: the diminishing number of retail outlets, the sad state of print distribution, the easy availability of free information and critical writing via the Internet, and the now-widespread availability on Blu-ray and DVD of so many of the once-obscure titles Video Watchdog was among the first to tell you about. After trying many creative ways to generate sales to compensate for newsstand losses and lack of advertising support, rising shipping and postage costs, and a depressed economy, it is simply no longer possible to keep Video Watchdog moving forward.“
Dies gilt auch für den deutschsprachigen Bereich. Auf dem Oldenburger Filmfestival 2022 sagte der Filmkritiker Rüdiger Suchsland in einer Diskussionsrunde:
„[…] wenn ich an meine Kollegen denke, dann geht es denen erstens schlecht, ökonomisch, aber auch von den Strukturbedingungen, den Produktionsbedingungen, […]. Die Misere hat die Filmkritik nicht selbst geschaffen, es ist auch eine Misere des Kinos. […] Wir haben auch noch andere Herren eingeladen. […] auch einen freien Autor, der gerne gekommen wäre, von einer sehr etablierten Tageszeitung, der nicht kommen konnte, weil er schlicht und einfach die Zeit, diese mindestens Einen-Tag-Reise und einen Tag in Oldenburg sein, sich nicht leisten kann, weil er Geld verdienen muss. […] Und das ist natürlich ein Problem, dass viele Filmkritiker am Rande des ökonomischen Zusammenbruchs arbeiten oder sich anders finanzieren, mit Lehraufträgen, mit Callcenter-Jobs, mit einem Erbe, wenn sie es glücklicherweise haben, mit Ehefrauen oder Ehemännern, die […] sozusagen solide arbeiten und Geld verdienen. Wir kennen Kollegen, die Partner haben, die ihnen im Grunde gestatten, dass sie Filmkritiker sein dürfen.“
Oder kurz ausgedrückt: Die professionelle Filmkritik stirbt.
Was wir dafür als Gegenwert erhalten haben, sind hysterische YouTuber, die ihre Meinung oftmals nach dem Fox-Prinzip „The Loudest Voice“ in die Webcam grölen, Instagram-Influencer, die Werbung für Diktaturen machen, und reißerische Online-Schlagzeilen, deren inhaltliche Tiefe kaum noch über einen Tweet hinausgehen. Natürlich ist dies jetzt absichtlich polemisch vereinfacht. Es existieren selbstredend auch hoch qualitative YouTube-Kanäle (ob Neon Zombies Kanal dazugehört, könnt ihr selber entscheiden), aber auch sie erreichen kaum die Bedeutung oder Reichweite, um davon leben zu können. Dies liegt vielleicht auch darin begründet, dass die Filmindustrie sich seit jeher damit schwer tat, Werbung in einem signifikanten Maße zu buchen. Die bloße Berichterstattung ist ja bereits die Werbung, selbst dann, wenn eine Filmkritik negativ ausfällt.
Während in anderen Bereichen Influencer von der Mode-, Technik-, Food- oder Kosmetikindustrie schon bei nur zehntausend Instagram-Followern für ein Werbeposting zwischen 150 und 1500 Euro erhalten, können Filmberichterstatter oftmals höchstens darauf hoffen, dass man ihnen die berühmten drei Blu-rays für ein Gewinnspiel zur Verfügung stellt. Dieses Gewinnspiel muss dann selbstredend selber veranstaltet und demnach selber refinanziert werden. Man arbeitet und bezahlt im Grunde für die Werbung der kommerziellen Produkte anderer. Bedient man einen Nischenbereich, wie etwa Phantastisches Kino, ist es noch extremer, da die natürlichen Abrufzahlen generell kleiner sind. Somit helfen nur Werbeeinblendungen auf Websites, deren Wert allerdings in Abhängigkeit der Masse der geposteten Inhalte stehen. Es muss also massiv Content generiert werden, selbst wenn kein Content vorhanden ist.
Im Filmbereich ist dies mittlerweile so drastisch, dass Marketing-Berichterstattung zum Fundament dieser neuen Inhalte gehört. Beiträge über neue Charakterposter, Casting-Gerüchte, nebensächliche Easter-Eggs, – alles, was irgendwie als Content und somit Update verwertet werden kann, wird verwertet. Und wenn es nur Trivia ist. Ganze Interviews werden zu Artikeln aufgesplittet (eine Frage, ein Artikel), Filmenden erklärt, Inhaltsangaben als Berichterstattung gepostet, aber auch Twists gespoilert. Aber kann man es den Redaktionsteams noch wirklich verübeln, wenn die einzige Chance von Werbeeinblendungen zu leben darin besteht, stündlich neuen Content produzieren zu müssen?
Dies sind Inhalte, die vor zwanzig Jahren die berühmten Lückenfüller in Print-Magazinen auf zwei Seiten unter einer Art News-Sektion darstellten. Quickies für zwischendurch. Tratsch aus aller Welt. Jetzt scheint es so, als ob es das Herz der Berichterstattung sein würde. Wie sollte es auch anders sein? Die ewig hungrigen digitalen Mäuler wollen gestopft werden. Ein lang recherchierter Artikel hat heutzutage eben doch nur noch den Wert einer schnell heruntergeschriebenen News-Meldung über irgendeinen TV-Spot mit drei Sekunden neuen Material. Ein Klick ist ein Klick. Mehr nicht. Und bei diesem einen Klick sind alle gleich. Lange Reportagen sowie triviale Kurzmeldungen. Etwas anderes ist laut dem Vice-Artikel „Film Journalism Is Broken“ auch gar nicht mehr vorgesehen.
„The prerogative of film companies is quantity over quantity. The content produced is increasingly irrelevant — just the name of the film, perhaps a clip or a still, a few words from the director or stars attached.“
Der US-Filmjournalist Drew McWeeny beschrieb diese Entwicklung, die er maßgeblich mitprägte und erlebte, ehrlich und auch selbstkritisch in einem längeren Kommentar auf seinem Blog.
„What is ‚movie news‘? Honestly, it’s the stuff that no one reports. It’s the stuff you aren’t told. That’s the news. […] For the most part, the advertising/outlet relationship means that most of the places you read have absolutely no incentive to write genuine news. That’s why there’s such an emphasis on low-stakes things like casting news and trailer release dates and ratings news. […] Everyone wants to be the first one to publish a review so they can get that traffic, but if everything has to be written to avoid any actual discussion, what value is there in that writing?“
Kunal Ray von der indischen Tageszeitung The Hindu kommt zu einem recht ähnlichen Ergebnis:
„Film journalism […] has been reduced to gossip, sensationalism and hype. […] There’s no mention of the socio-cultural dimensions of the film. […] Most of these are PR-driven exercises engineered before the launch of a film or intended to serve vested interests. […] Rumours, link-ups and scandals form a bulk of film-related reporting in this nation. This deviance has been normalised.“
Die Digitalisierung hat aufgrund des ökonomischen Drucks leider zu einer Hysterisierung und Verflachung von Inhalten geführt. Dennoch müssen auch Print-Magazine online aktiv sein. Schon alleine zur Eigenwerbung und Präsentation. Dies hat oftmals eine Art inhaltliche Selbstkannibalisierung zur Folge. Welche Artikel gehen zur Eigenwerbung, die für das Print-Magazin repräsentativ sein müssen, gratis online und welche werden exklusiv für die zahlende Leserschaft abgedruckt? Ein ewiger interner Wettbewerb entsteht, der zu einer weiteren Inflation von Inhalten führt. Da selbst altehrwürdige Institutionen der Filmberichterstattung mittlerweile auf die Größe eines lokalen Anzeigenblattes zusammengeschrumpft sind, wird Filmberichterstattung zum Hobby. Und dieses muss man sich tatsächlich persönlich leisten können. Kaum noch ein Filmberichterstatter kann von seiner journalistischen Arbeit alleine leben. Die Nische ist überlaufen mit Erwerbstätigen, die ihre Arbeit als reines Hobby nebenbei angehen und oftmals unbewusst Teil des Wettbewerbes werden. Das erhöht den Druck noch weiter. Wiederum können aber viele Print-Publikationen (aber auch Webseiten…) nur noch durch dieses quasi ehrenamtliche Engagement überleben, weil es schlichtweg unmöglich geworden ist, selbst kleine Aufwandsentschädigungen zu zahlen. Der Kreislauf nach unten setzt sich damit drastisch fort und ernährt sich selber. Allerdings muss man hier noch anmerken, dass es sich um Schreiber und Künstler handelt, die sich gegenseitig unterstützen und für dieselbe Sache kämpfen, auch wenn sie es nur noch als Hobby tun können. Ihre Arbeit muss aber eben dennoch für ein Endprodukt geschehen, dass noch einen kommerziellen Wert besitzt, so wie es eben bei Print-Magazinen der Fall ist (Persönlicher Einschub: Auch ich habe erst kürzlich gratis eine ganze Titelstory für ein anderes Print-Magazin erstellt. Aufwand: rund drei Arbeitswochen. Warum ich das tat? Weil auch ich will, dass diese Zeitschrift am Leben bleibt, aber dies geht nur, wenn wenigstens der Herausgeber, der das gesamte finanzielle Risiko trägt, mit den Erlösen noch über die Runden kommen kann.).
Die Gratis-Kultur war sicherlich der große Geburtsfehler des Internets. Eine Kultur unter der nun viele Branchen leiden, weil diese mittlerweile als gegeben hingenommen wird. Es ist schwer, die Konsumenten nach zwanzig Jahren davon zu überzeugen für Content Geld zu bezahlen, wenn eine ganze Generation, die nach dem sogenannten Millennium geboren wurde, es gar nicht mehr anders kennt und deren Medienkonsum von YouTube geprägt wurde. Besonders die Musikbranche kann hierfür exemplarisch stehen. Mittlerweile verdienen selbst internationale Megastars kaum noch Geld mit Online-Diensten. So sagte der kanadische Weltstar Bryan Adams, dass er in den Jahren 2010 bis 2014 insgesamt rund 2500 US-Dollar an Tantiemen von Spotify erhielt, obwohl seine Songs millionenfach gespielt wurden. 2500 US-Dollar (vor Steuern) für vier Jahre und Millionen von Abrufen. Zwischenzeitlich soll sich die Lage zwar etwas gebessert haben, allerdings wird es keine Rückkehr zur alten Norm mehr geben. Dienste wie Spotify sind für Nutzer toll und geben ihnen zumindest die Illusion, dass sie für Kultur bezahlen würden, das Unternehmen schreibt aber seit Jahren rote Zahlen. Wäre Spotify ein mittelständischer Handwerksbetrieb, so wären sie wohl schon längst insolvent: Spotify hat im Jahre 2020 mehr als eine halbe Milliarde US-Dollar Minus gemacht.
Für den Bereich des Film-Journalismus gilt ähnliches. Selbst die für unsere Nische ehemals großen Seiten wie CHUD.com wurden zeitweise eingestellt und werden mittlerweile nur noch als Hobby am Leben gehalten. Mit seinem aktuellen Projekt Trouble.city versucht CHUD-Gründer Nick Nunziata die Idee des unabhängigen Film-Journalismus noch am Leben zu halten, gesteht aber ein, dass es nur ein unkommerzieller Kompromiss ist, von dem niemand mehr leben wird. Laut seinem Twitter-Profil arbeitet er mittlerweile in der Zigarren-Industrie („I used to be in the film business and was an early online movie personality but now I work in the cigar industry and don’t hate myself.“).
„When I ran CHUD I vowed to do it until the death, but in order to keep it going I had to make a lot of choices that were geared around paying the staff and covering the increasing operating costs. […] Trouble City is my compromise. The decades of content and community is able to continue but without the constraints of business. No ads. No partnerships. No X-factors. We’ll probably have minimal crowdfunding to cover some costs but otherwise it’s a low impact way to keep the dream alive.“
Auch Jeremy Smith, der unter dem Pseudonym Mr. Beaks bei Aintitcoolnews.com anfing, Co-Founder von Collider.com ist und schon Filmkritiken für Variety.com verfasste, schrieb auf seiner Patreon-Seite offen und ehrlich:
„As you might’ve heard, now is not the best time to be a journalist. Publications and websites are laying off staff left and right, while freelance gigs are harder to land because lots of one-time staff writers have been tossed into the for-hire pool. Other publications […] have cut freelance rates or simply shuttered for good. Point blank: it’s getting pretty dang difficult to eke out a living as an entertainment journalist nowadays.“
Selbst die Väter des US-amerikanischen Online-Film-Journalismus, wie eben Devan Feraci, Harry Knowles, Drew McWeeny oder Nick Nunziata, können von dem Markt, den sie einst Mitte der 1990er-Jahre begründeten, nicht mehr leben. Die digitale Revolution hat ihre Kinder gefressen.
Mittlerweile scheinen sich sogar Facebook und YouTube der Misere bewusst zu sein und bieten zumindest an, dass man ab 1000 Abonnenten auf YouTube und ab 10.000 Abonnenten auf Facebook sogenannte exklusive Inhalte den Followern präsentieren kann, wenn sie einen bestimmten Betrag bezahlen. Der Haken: Die Hürden sind mittlerweile so hoch, dass insbesondere Film-Berichterstattung nur erschwert möglich ist. Diese lebt bekanntlich von audiovisuellen Referenzen, somit Verwendung von Presse-Material (Trailer, Poster, Setbilder, etc.). Dieses Medienmaterial, das eigentlich zur Promotion gedacht ist, wird aber selbst mit Copyright-Hinweis von den Netzwerken als auch den Filmstudios in der Regel nicht als eigene Arbeit (oder „unauthentischer Content“) angesehen, und so werden Videos auf YouTube automatisch demonetarisiert. Die Videos sind noch online, aber die Filmkritiker können kein Geld mehr damit verdienen. Wobei erwähnt werden sollte, dass man Millionen von Views benötigt, um ohne Sposoring von nativen Werbeeinblendungen bei YouTube leben zu können. Man hat dann nur noch die Wahl den Weg der Talking Heads zu gehen, was wiederum den Berichterstatter automatisch in den Vordergrund rückt und in den Bereich der Selbstdarstellung zwingt. Der Journalist muss zum Showman werden. Perfekte Zähne, perfekte Aussprache, perfekte Mimik und Gestik. Und selbst diese Talking Heads, auch wenn sie von den Abrufzahlen erfolgreich erscheinen, müssen mittlerweile ihre Kontodaten einblenden, weil sie auf Spenden angewiesen sind.
Die Digitalisierung war Fluch und Segen zugleich. Ein Projekt wie Neon Zombie hätte in der alten Medienbranche wohl kaum eine Chance gehabt, so ehrlich muss man auch sein. Dennoch bedeutet dies nicht, dass man sämtliche Facetten der digitalen Revolution gänzlich gutheißen und mittragen muss oder nicht zumindest nachjustieren sollte. Insbesondere dann, wenn mittlerweile aller Ortens eine Art von Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit unter Film-Journalisten vorherrscht. Schon 2019 schrieb der kanadische Filmjournalist Phil Brown in einer Kolumne:
„For ten years, I slaved away as a film critic and entertainment writer, hoping my hard work for little (or no) pay would result in a full-time job. It didn’t. So now I’m done. […] Journalism, even the arts and entertainment variety that I focused on, used to be a realistic career path. These days, the print industry exists in a perpetual state of crisis and web media never settled into the financial stability everyone assumed was somewhere on the horizon. On the plus side, schools keep pumping out wide-eyed millennials willing to work for essentially nothing to keep content mills churning. There are more writers and articles than ever floating around and begging for attention. As for professional writers with stable incomes and career paths? They are dying off daily.“
Vor einem halben Jahr hat die US-amerikanische Filmjournalistin Britt Hayes ebenfalls öffentlich ihren Ausstieg aus dem Bereich des Film-Journalismus via Patreon verkündet. Ihre Begründung: Es gibt kein oder kaum noch mehr Geld zu verdienen, selbst wenn sie für große Plattformen schreibt. Die Arbeit nahm eine drastische Form der Selbstausbeutung an (ihre Perspektive ist auch aus anderen Gründen interessant, da sie intensiv über ihre Erfahrungen der sexuellen Belästigung schreibt).
„I recently started thinking of my exit from film criticism and journalism in terms of leaving a toxic relationship. […] I am tired of caring about this career more than it has ever cared about me. I deserve better. I’m worth more. […] Film journalism as a profession is untenable and unreliable. It’s already difficult for most people to envision a future in which they can retire by age 65 and have enough money to live the rest of their days in hard-earned peace and quiet—and those people aren’t freelance journalists.“
Die finanzielle Situation ist dermaßen krass geworden, dass sie als etablierte Filmkritikerin in der US-amerikanischen Medienbranche sich dazu gezwungen sah, noch an dem Tag einer schmerzhaften Unterleibs-Operation Live-Berichterstattung über die Comic Con in San Diego für eines der größten Film-Portale zu betreiben. Nur, um eine gewisse Masse X an Artikeln produzieren zu können, die sie am Ende des Monats knapp finanziell über Wasser halten kann. Dass diese Arbeitsbedingungen kaum jemand langfristig durchhält, dürfte nicht überraschen. Dass solche Arbeitsbedingungen mittlerweile als Norm achselzuckend hingenommen werden, ist ein Skandal.
„My surgery was, unfortunately, the morning before the first day of Comic-Con. In my position, Comic-Con entailed working 12-14 hour shifts for four or five days straight while the full-time editors attended the con. […] Instead of taking time off to recuperate from what is an invasive, in-patient procedure, I worked through it. The recovery itself is fairly painful, but I figured fuck it, I can work from bed. […] So I had my surgery that morning at 7 am. I was home around noon. I worked, then went to a screening for a film I had to write about in my weekly column. For the next four days I worked 12-14 hours a day.“
Die Print-Medien waren nie perfekt, aber sie garantierten einen gewissen Standard in der Qualität der Berichterstattung, als auch der Bezahlung oder im Nischenbereich wenigstens der respektvollen Behandlung der Autoren. Es war eine Beständigkeit vorhanden. Eben ein Fundament, auf das man aufbauen und langfristig ohne stündliche Hysterie etwas entwickeln und planen konnte. Dass die Print-Medien nun wohl endgültig wegbrechen, ist ein Verlust für die gesamte Kulturlandschaft, der nicht mehr zu ersetzen ist.
‐ Markus Haage
Werbung |