Werbung

Lost: Glaube und Wissenschaft – Eine Retrospektive

verfasst am 25.Mai 2010 von Markus Haage

Nach sechs Jahren, 120 Episoden, 5400 Minuten und unzähligen Diskussionen, geht eine der wohl bedeutendsten TV-Serien der Jahrtausendwende zu Ende. Ob man dieses Finale nun mag oder nicht, die Serie hat das geschafft, woran viele andere TV-Produktionen gnadenlos scheitern: sie blieb von Belang. Sie unterhielt den Zuschauer konstant, ließ ihn mitfiebern und miträtseln. Websites schossen aus dem Boden, die jedes noch so kleine Detail genau analysierten. Auch ich als Fan der ersten Stunde konnte diesem nicht widerstehen. Die Pausen zwischen den Staffeln waren elendig lang. Kaum eine Serie sah ich so oft, fast jedes Jahr als Auftakt zur kommenden Staffel wurden die alten Folgen – ob nebenbei oder bewusst – zur Auffrischung geschaut. Doch jede noch so genaue Recherche, jede ausschweifende Diskussion und Analyse, konnte die einzige Frage, die von so fundamentaler Bedeutung erschien, nicht beantworten: Was ist…

(© Touchstone Pictures)

Um Verwirrungen vorzubeugen (obwohl diese nun eigentlich sehr Lost-typisch wären…), möchte ich kurz darauf hinweisen, dass es mir nicht um den eigentlichen Inhalt geht, sondern um das alles bestimmende Leitmotiv der Serie, dass natürlich mit der eigentlich erzählten Geschichte und seiner hervorragend gezeichneten und sehr komplexen Charaktere tief verwobenen ist. Man kann meiner Meinung weder das Motiv vom Inhalt und den Inhalt von den Charakteren oder die Charaktere vom Motiv trennen. Alles ist miteinander verbunden. Dennoch versuche ich auf die eigentliche Intention, die Dynamik der Serie, eben das Motiv einzugehen, das für mich alles erklärend ist. Da die Serie aber inhaltlich sehr komplex ist, zur Erinnerung ein kurzer (und oberflächlicher, dafür verständlicher) Abriss der kompletten Serie auf Lost-Mania.de.

Nun, nachdem wir unser Gedächtnis aufgefrischt und auf den neuesten Stand gebracht haben, zurück zur meiner Kernfrage: Was ist „Lost“?

Nun, auf diese Frage gibt es keine Antwort. Jedenfalls keine direkte und definitive – und dies ist im Kern bereits die Antwort. Welche Schlüsse wir ziehen, ist uns selbst überlassen. Wir können keine Antworten verlangen, solange bis wir für uns selber die richtige Antwort gefunden haben. Was sich nun wie ein simpler Cop-Out seitens der Autoren anhört, ist im Grunde einer der genialsten Auflösungen der TV-Geschichte. Wir suchen nach der ultimativen Antwort, eben nach Erkenntnis,  obwohl wir die Antwort dadurch bereits erhalten haben. Der Weg ist das Ziel. Der Weg zur Erkenntnis – und was man daraus gewonnen hat.

Um diese Antwort genauer zu bestimmen, wähle ich einen etwas anderen Weg. Meinen Weg. Um meine Antwort zu finden. Dies ist nicht chronologisch geordnet und greift auf verschiedene Geschehnisse und Vorkommnisse aller Episoden zurück. Viele Dinge, die ich nebenbei nenne, werden oberflächlich erwähnt, deren tieferer Sinn oder Hintergrund im Kontext der Serie setze ich als Kenntnis voraus. Anders ist es leider kaum möglich. Aber letztlich ist die Antwort auf alle Fragen nur meine Antwort, was die Serie für mich persönlich noch faszinierender macht. Meine Interpretation kann keine allgemein gültige Antwort sei, denn damit wäre meine Antwort, die ich für mich gefunden habe, bereits hinfällig.

Beginnen möchte ich im Grunde mit einer der letzten Einstellungen, einem Hint in der letzten Episode, der letzten Minuten der Serie. Dieser Hint ist so gewaltig, dass dies quasi der Startpunkt dieser persönlichen Erkenntnisreise über die Serie und ihrer Mysterien darstellt. Es ist der Schlüssel zu der Tür, die alle und keine Antworten liefert. Es ist das Kirchenfenster.

(© Touchstone Pictures)

Das Kirchenfenster zeigt uns, wie wir die Serie betrachten können. In das Fenster eingesetzt sind die Symbole der größten und wichtigsten Religionen vereint. Das Kreuz (Christentum), der Halbmond (Islam), der Davidstern (Judentum), das Dharmacakra (Buddhismus) und das Yin und Yang (Taoismus). Dies stellt – so klein und unbedeutend es auch aussehen mag – die ultimative Antwort zur Serie dar. Wie tief verwurzelt dies in der Mythologie der Insel (und somit seiner Charaktere, ihrer Handlungen und der gesamten Serie) ist, möchte ich anhand der sagenumwobenen Ägypter verdeutlichen – oder zumindest soll dieser Weg zur Antwort bei den Ägyptern beginnen.

Durch die gesamte Serie hinweg wurden alt-ägyptische Symbole gestreut – der Counter in der Schwan-Station, die Hyroglyphen in den Tunneln unter dem Tempel, der Fuß der Statue (später als Taweret – die Schutzgöttin schwangerer Frauen in der ägyptischen Mythologie – enttarnt). Viele Fans erhofften sich durch eine Klärung der Ägypter die ultimative Antwort, den Schlüssel zur Lösung zu finden. Aber wie sovieles liefern die Ägypter nur einen Teil des großen Puzzles. Sie sind von Bedeutung und eben wieder nicht. Abhängig vom eigenen Standpunkt, von der eigenen Sichtweise, die auf eigenen persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen beruht. Somit ist die Reise, die alle Charaktere in der Serie antreten identisch mit der Reise des Zuschauers.

(© Touchstone Pictures)
(© Touchstone Pictures)

Die Ägypter kamen irgendwann (wahrscheinlich zwischen 1550 – 1070 v. Chr.) auf die Insel. Was sie dort sahen und erlebten, was den Zuschauer über Jahre selbst rätseln ließ, versuchten sie mit den Mitteln die sie zur Verfügung hatten, zu erklären: ihrem Glauben. Dies war ihr Erkenntnisstand. Alles was sie erlebten muss göttliche Fügung gewesen sein. Ihre Interpretation der Dinge musste religiös begründet sein. Und so bauten sie zu ihrem Schutz die Statue von Taweret, deren Ruine – der Fuß – die Zuschauer solange zum Rätseln veranlasste. Doch aus heutiger Sicht, 3000 Jahre später, haben wir einen anderen Erkenntnisstand. Die Ruine ist nichts weiteres als ein Relikt eines untergegangenen Glaubens, was aber nicht bedeutet, dass sie nicht von Bedeutung wäre.

(© Touchstone Pictures)
(© Touchstone Pictures)

Jahrhunderte später kamen die Maya auf die Insel. Auch sie konnten sich die Vorkommnisse auf der Insel nicht erklären. Auch ihr Erkenntnisstand begründete sich auf die Religion, auf den Glauben. Doch bauten sie keine Statue, sondern in gewisserweise ein Gotteshaus, den Tempel. Den Ort, den die Anderen Jahrhunderte später zum Schutz vor dem Rauchmonster aufsuchten.

(© Touchstone Pictures)
(© Touchstone Pictures)

Ebenso Mr.Eko, tiefgläubiger Christ, berief sich auf seinen Glauben, um die Insel zu erklären und baute für seinen toten Bruder, der katholischer Priester war, die Kirche (die er nicht vollenden konnte). Die Ruine dieser unfertigen Kirche nutze daraufhin Locke für seinen Glauben, um in einem von ihm draus umgebauten Inip, einer Schwitzhütte (diente nord-amerikanischen Indianern zur zeremoniellen Reinigung), mit der Insel zu sprechen, sie somit zu verstehen und Antworten zu finden.

(© Touchstone Pictures)
(© Touchstone Pictures)

Hätte Eko die Kirche zu Ende gebaut, dann würden in 1000 Jahren Menschen auf die Insel kommen und sich fragen, was dieses mystische, alt-religiöse (christliche) Gebäude für eine Bedeutung hat. Es war lediglich ein Ort um Antworten zu finden, erbaut von der Person, die sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte der Insel suchte. Eben von Mr.Eko, der tiefgläubiger Katholik gewesen ist. Genauso wie die Ägypter und die Maya suchte er nach Antworten, ebenso wie Locke, der in seinem Inip mit der Insel sprechen wollte (eine weitere spirituelle Gebetsform) oder Sayid der als gläubiger Muslim zu Allah betet. Es sind ihre Wege die Ereignisse, die auf der Insel vor sich gehen, zu erklären.

(© Touchstone Pictures)
(© Touchstone Pictures)

Dies gilt im übertragendem Sinne auch für die Dharma-Stationen. Letztlich sind sie auch eine Art von religiöser Bauten. Nämliche wissenschaftliche. Es wird natürlich nicht behauptet, das Wissenschaft eine Religion ist, sondern beide nach Erkenntnis suchen und im übertragenden Sinne die Wissenschaft den gleichen Stellenwert hat, wie die Religion vor 3000 Jahren. Vor 1000 Jahren versuchte man „was die Welt im Innersten zusammenhält“ (um es mit Goethes „Faust“ zu benennen, hier: die Insel, das Licht, die Kraft) mit der Religion zu erklären. Heute mit der Wissenschaft (Stichwort: Erkenntnissuche). Wir wollen unerklärliche Dinge erklären. Eine rationale Lösung dafür finden. Unser Erkenntnisstand zwingt uns dazu. Dazu führte die Dharma-Initiative unzählige Experimente durch, ob zoologische, physikalische, biologische oder psychologische. Die Experimente der Dharma-Initiative liefern uns keine klare Antwort. Sie helfen uns nur das große Ganze besser zu verstehen.

(© Touchstone Pictures)
(© Touchstone Pictures)

Genauso wie die Hieroglyphen an den Tunnelwänden, sind die Dia-Filme der Dharma-Initiative Relikte der Suche nach Antworten. Für die Ägypter war dies ihr Gottesglaube, der sich in den Statuen und Hieroglyphen wiederfindet, für die Forscher der Dharma-Initiative physikalische Formeln und zoologische Experimente. Beides sind nun Relikte einer fehlgeschlagenen Suche nach Erkenntis. Wie die Ägypter verschwand die Dharma-Initiative vom Angesicht der Insel. Was übrig bleibt sind ihre Ruinen.

Die Suche nach der ultimativen Antwort – „was die Welt im Innersten zusammenhält“ – kann natürlich nicht so einfach beantwortet werden. Denn was dies genau ist, hängt vom persönlichen Standpunkt ab. Für die Ägypter war es Glaube, für die Dharma-Initiative Wissenschaft. Demzufolge gibt es dazu unzählige Interpretationen. Jede Religion, jede Wissenschaft interpretiert es anders, beruht letztlich aber auch aufeinander (Moslems glauben genauso an Jesus wie es Christen tun – und die Geschichte Jesu ähnelt der Geschichte eines alt-ägyptischen Gottes Horus enorm, der von einer Jungfrau geboren und später von Feinden gekreuzigt wurde, um wieder aufzuerstehen – 1280 Jahre vor Christi Geburt). Der Übergang von Glaube und Wissenschaft ist fließend, da beide nach Erkenntnis suchen. Selbst der Vatikan unterhält eine Sternenwarte, die größten wissenschaftlichen Erkenntnisse stammen unter anderem von tiefgläubigen Menschen, die nach Antworten suchten. Natürlich wandten sich auch viele vom Glauben ab, um mit der Wissenschaft ihre Antworten zu finden und da wir bereits das Innerste erwähnt haben, nennen wir als kulturellen Querverweis (oder Hinweis) einfach Dr. Faust. Es ist kein Zufall, dass das Dharma-Logo auf dem taoistischen Symbol Ba gua beruht (und sich ebenfalls alt-ägyptische Symbole in den Forschungseinrichtungen und alt-griechische Götterdeutungen in den Stations-Zeichen wiederfinden). Selbst der Name Dharma-Initiative lässt sich von Dharmacakra, dem buddhistischen Glaubenssymbol, ableiten. Womit wir wieder beim Kirchenfenster wären. Alle Sichtweisen sind gleichberechtigt. Aber alle Antworten können wiederum anders interpretiert werden.

(© Touchstone Pictures)
(© Touchstone Pictures)

Genauso wie Jacob, der Hüter des Lichts, die Macht der Insel anders interpretierte – beruhend auf seinen Lebenserfahrungen, seinen Erkenntnisstand, seinen Überzeugungen, seinen Glauben.

Ihr wollt wissen, warum Frauen nicht schwanger werden konnten? Weil Jacob es so wollte. Er war die Personifikation der Insel, der Hüter des Lichts, der Macht. Seine Regeln waren zu befolgen. Diese basieren auf seinen Lebenserfahrungen, die wiederum beeinflusst wurden vom vorherigen Hüter (seiner Stiefmutter), die wiederum von ihrem Leben beeinflusst wurde und deswegen Jacobs Mutter umbrachte. Schaut euch den Koran, die Bibel und Thora an. Voller Regeln und Gesetze (und als billiges Beispiel nehmen wir nur einfach die 10 Gebote). All dieses wurde niedergeschrieben von Propheten, Aposteln und Messias – alles Menschen die auserkoren wurden und die Regeln machten, basierend auf ihren Erfahrungen. Auf ihrer Sichtweise. So wie sie die Macht, ihren Glauben, interpretierten. Ob Jesus oder Mohammed. Moses oder Buddha. Sie sind die Hüter ihres Lichtes, ihres Glaubens, ihrer Insel. Sie stellen die Regeln auf. Ihr könnt versuchen eine Antwort auf diese Frage zu finden, was denn nun die Insel, das Licht, die Macht, der Glaube ist. Ihr könnt die Frage religiös klären – wie Mr.Eko – oder eben wissenschaftlich – wie die Dharma-Initiative – aber ihr müsst sie für euch klären, basierend auf euren Lebenserfahrungen, eurem Erkenntnisstand, eurem Glauben oder eben Wissen.

Was ist nun die Macht, die von der Insel ausgeht? Wer erschuf das Licht? Woher kommt es? Göttliche Präsenz? Eine physikalische Anomalie? Fragt einen Buddhisten und er wird euch seine Wahrheit geben, fragt einen Christen er wird euch seine Interpretation darlegen, fragt einen Wissenschaftler und er wird es euch erklären.

Jeder erklärt es anders. Mit seinem Wissen, seinen Erfahrungen. Es gibt keine ultimative Antwort. Das Licht ist das, für was Jacob es hielt – und weswegen er seine Regeln aufstellen musste um es seiner Meinung nach zu beschützen. Das Licht ist wiederrum das, was die Dharma-Initiative glaubte wissenschaftlich erklären zu können, woraufhin sie die unzähligen Stationen erschufen. Es ist alles und nichts – oder wie es die Hüterin der Insel vor Jacob sagte: „Life, death, rebirth; it’s the source, the heart of the island.“

(© Touchstone Pictures)

Versucht man diesem näher auf den Grund zu gehen, so stößt man unweigerlich auf neue Fragen („Every question will only lead to another question.“). Egal, ob man ein Man of Science oder Man of Faith ist (so wie es bereits der Episodentitel zur Season 2-Eröffnung aussagte). Oder, um es zu vereinfachen…

Als Man of Faith fragt ihr euch:
Wer ist Gott? Wenn ihr das wisst, dann werdet ihr zwangsweise zu einer neuen Frage vorstoßen – nämlich, wer erschuf Gott? Woher kommt Gott? Wenn vorher nichts war, was ist sein Ursprung? Seine Natur? War vor ihm nur ein schwarzes, leeres Nichts? Aber wenn es ein schwarzes, leeres Nichts war, dann war dort doch etwas…?

Als Man of Science fragt ihr euch:
Was ist der Urknall? Wenn ihr das wisst, dann werdet ihr zwangsweise zu einer neuen Frage vorstoßen – nämlich, was verursachte den Urknall? Wenn vorher nichts war, was ist dann dessen Ursprung? Dessen Natur? War davor nur ein schwarzes, leeres Nichts? Aber wenn es ein schwarzes, leeres Nichts war, dann war dort doch etwas…?

Diese Dualität findet sich in der gesamten Serie wieder. Sie beeinflusst das Handeln eines jeden Charakters. Sie formt ihn. Und seine Reise zu den Antworten verändert ihn – genauso wie den Zuschauer. Anfangs war Jack Shephard der Man of Science, der Skeptiker, der Wissenschaftler, der alles logisch erklären wollte. John Locke hingegen war der Gläubige, der an Vorhersehung, Karma und Schicksal glaubte („Everyone is here for a reason!“). Dies spiegelte sich im gesamten Verlauf der Serie wieder. War es Zufall oder Schicksal, dass all diese Charaktere, deren Leben miteinander verwoben waren, zusammen auf diese Insel abstürzten? Hilft uns Glaube oder Wissenschaft dieses – und somit die Insel – zu verstehen? Dieses Thema ist tief in der Handlungsmythologie der Serie verwoben und findet im Finale seinen Höhepunkt, da nicht nur einfach Locke und Jack sich gegenüberstehen, sondern auch Jacob und Nemesis, Glaube und Wissenschaft, Gut und Böse, Schwarz und Weiß…

(© Touchstone Pictures)

Bereits Jacob und sein Bruder stellen beide Seiten dar. Während Jacob die Regeln der Insel, oder besser gesagt, die Regeln der Hüterin des Lichts, der Personifikation der Insel (seiner Stiefmutter) befolgt und später weiter formt, ist es sein Zwillingsbruder der die Insel verlassen möchte. Der nicht an Schicksal glaubt, der seinen Platz nicht auf der Insel sieht, sondern „Across the Sea“, auf dem Festland. Der nicht glaubt, dass die Insel es wollte, dass seine wirkliche Mutter starb, sondern das sie eben nur kaltblütig ermordet wurde. Er versucht mit Hilfe der Wissenschaft die Macht der Insel zu erklären und so zu nutzen, um zu entkommen. Er erbaut das von den Fans benannte „Frozen Donkey Wheel“ – welches Ben Linus 2000 Jahre später nutze, um die Insel zu verschieben.

(© Touchstone Pictures)
(© Touchstone Pictures)

Später wird es John Locke sein, der den Knopf in der Schwan-Station drücken will und Jack Shephard wird derjenige sein, der den Sinn dessen anzweifelt. John Locke glaubt an die Insel und an seine Bestimmung – auch wenn es Phasen gibt, in denen er wie jeder Prophet seinen Glauben testen muss (oder getestet wird). Jack Shephard hingegen glaubt nicht an Schicksal – und an seinen Platz auf der Insel. Erst durch einen sehr langen Leidensweg, erkennt er die Insel – und kehrt zurück. So vollführt er sein Schicksal, die Insel zu beschützen. Vor wem? Jacobs Bruder, der – so meint er – nach 2000 Jahren ein Schlupfloch in Jacobs Regelwerk gefunden hat, um die Insel zu verlassen. Mit der letzten Folge, den Kampf zwischen (Fake-)Locke und Jack schließt sich dieser 2000 Jahre alte Kreis – und Hurley als neuer Hüter der Insel, kann von Neuem beginnen. Jack und Lockes Schicksal war es, diesen Kreis zu schließen. Das Spiel zu beenden. Glaube und Wissenschaft, Schicksal und Zufall, Gut und Böse, Weiß und Schwarz gewissermaßen zu vereinen. Womit wir wieder beim Ursprung sind. Dem Kirchenfenster (siehe letzter Absatz).

Dieses ständige Spiel zwischen den beiden Seiten ist ein weiterer tief in der Serie verwurzelter Mythos. Mal wird er durch die Suche nach Erkenntnis dargestellt – Glaube und Wissenschaft. Mal durch den Charakter der Protagonisten – Gut und Böse. Oder auch, ganz simpel, als einfacher Hinweis von Gebrauchsgegenständen, Spielen oder Kleidung…

(© Touchstone Pictures)
(© Touchstone Pictures)

John Locke: „Two sides: One is light, one is dark.“

(© Touchstone Pictures)
(© Touchstone Pictures)

Wobei das Spiel natürlich eine noch weitaus tiefere Bedeutung hat. Es veranschaulicht uns die Natur der Insel. Jacob ist die bereits viel zitierte Personifikation der Insel. Er ist der Hüter des Lichts, der Macht – was auch immer es nach eurer Überzeugung, basierend auf eurem Erkenntnisstand sein mag. Und basierend auf seinen Erkenntnisstand legte er die Regeln fest, die es bedarf um diese Macht zu schützen. Dies wird insbesondere in einem Flashback deutlich, indem er mit seinem Bruder sein eigenes Spiel spielt…

(© Touchstone Pictures)
(© Touchstone Pictures)

Man in Black: „One day you can make up your own game – and everyone else will follow up your rules.“

Jacob, die Insel, lässt es nicht zu, dass Frauen auf der Insel Kinder kriegen können. Jacob, die Insel, lässt es nicht zu, dass Menschen die Insel verlassen können. Und wenn doch so holt die Insel, Jacob, sie zurück – indem er sie mit teils drastischen Mitteln dazu drängt. Jeder, der die Insel verlässt, stellt eine potentielle Gefahr für sie dar. So interpretiert es Jacob. Erst als Jacob starb, starben seine Regeln mit ihm. Und diejenigen, die der Insel fernblieben, wie etwa Walt, sind von ihr endlich erlöst (Hint: Michaels Besuch bei seiner Mutter, bei dieser Walt nun lebt) – sie müssen nicht mehr zurück, weswegen Kate, Sawyer als auch Claire endlich nach Hause zurückkehren können. Nach diesen Regeln handelten auch die Others – jeder Mensch musste begraben werden, da sein toter Leichnam eine potentielle Gefahr für die Insel bedeutet hätte (Smokey hätte vom Körper Besitz ergreifen können, wenn er es gewollt und es ihm gedient hätte). Jede Frau, die auf der Insel geschwängert wurde, musste zur Entbindung die Insel verlassen – so wollte es Jacob, so waren seine Regeln, so handelte die Macht die er somit personifizierte – und so entschied die Insel die Frauen sterben zu lassen. Warum Frauen nicht auf der Insel entbinden dürfen, liegt demzufolge auf Jacobs Regeln begründet, die durch ihn wirkt und wiederum den Willen der Insel darstellt. Dies hat er von seiner (stief-)Mutter übernommen, die eben seine Mutter brutal ermordete. Und diese Regeln sind einfach auf sein Leben, auf seine Erfahrungen, seinem Erkenntnisstand zurückzuführen (hierzu gehört natürlich seine Nemesis, sein Zwillingsbruder, der nach dem Schlupfloch sucht – und dieses findet er, u.a. in Locke, dessen Körper er annimmt und dadurch das Vertrauen zu Ben gewinnt, der für ihn Jacob ermordet, somit kann Desmond das Licht erlöschen lassen – Nemesis wird in Lockes Körper sterblich und kann nun die Insel verlassen…).

Hurley, als neuer Hüter des Lichts, wird neue Regeln aufstellen. Basierend auf seinen Erfahrungen, seinem Erkenntnisstand. Nach ihm dürfen Menschen die Insel nun verlassen. Er sieht darin keine Gefahr mehr für die Insel. Es ist somit ein Fortschritt. Genau wie Jacob es bei der Ankunft der Black Rock voraussagte, aber eben auf das Ganze bezogen.

(© Touchstone Pictures)

The Man in Black: „They come. They fight. They destroy. They corrupt. It always ends the same.“
Jacob: „It only ends once. Anything that happens before that is just progress.“

Das Ganze ist im Grunde das Kirchenfenster. Schaut man es genau an, so sieht man in der Mitte ein Licht – das Herz der Insel, die Macht. Von diesem Licht strahlt es aus – auf die verschiedenen religiösen Symbole (Interpretationen) und färbt sich hierbei lila. Dieselbe Farbe, die der Himmel annahm, als am Ende von Season 2 Desmond den Fail-Safe betätigen musste, wodurch die Schwan-Station implodierte.

(© Touchstone Pictures)

Was ist nun „Lost“? Was ist die Insel? Was ist dieses Licht jetzt? Was ist die Antwort all dessen. Wenn wir uns das lila Licht als Beispiel nehmen (und uns an die Implosion der Schwan-Sation erinnern), so können wir versuchen es wie die Dharma-Initiative wissenschaftlich zu erklären. Wir können es mit den Worten von Dr. Pierre Chang aus den Orientations-Filmen versuchen begreifbar zu machen. Wir können über Elektromagnetismus sprechen. Über Thermodynamik oder Astrophysik. Oder wir können glauben.

Die Entscheidung liegt alleine beim Zuschauer. Ist dieser ein Man of Science oder ein Man of Faith ..?

Oder (um den alten Goethe noch mal heranzuziehen) ein Thor, „der ist so klug als wie zuvor.“

Markus Haage

Werbung
Produkt bei Amazon.de bestellen!
Über Markus Haage 2285 Artikel
Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!