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Terror, The (USA, 2018)

verfasst am 3.Mai 2018 von Markus Haage

"The Terror" Titellogo
(© AMC Network Entertainment LLC.)

Überraschend lange hat es gedauert bis man sich einer Verfilmung der tragischen Franklin-Expedition ins Ewige Eis von 1847 annahm. Hierfür griff man nun als Vorlage auf den Roman „The Terror“ zurück und liefert eine der besten Serienproduktionen der letzten Jahre ab.

Im deutschsprachigen Raum weniger bekannt, gehört die Geschichte um die reale Franklin-Expedition ins Ewige Eis der Arktis vielleicht zu den tragischsten Ereignissen der britischen Polar-Geschichte. Unzählige Sachbücher, Romane und Dokumentationen wurden darüber produziert. Seit mehr als 160 Jahren fasziniert diese die Öffentlichkeit. Sicherlich auch, weil sie trotz aller Unternehmungen und Forschungen bis zum heutigen Tage mysteriös bleibt.

Im Ewigen Eis der Arktis wartet nur noch der Terror.
Im Ewigen Eis der Arktis wartet nur noch der Terror.
(© AMC Network Entertainment LLC.)

Im Jahre 1845 machen sich zwei britische Expeditionsschiffe ins Ewige Eis der Arktis auf, um endlich die sagenumwobene Nordwest-Passage zu finden, die selbst im Winter einen Seeweg von Europa nach Asien oberhalb von Nord-Amerika ermöglichen soll. Der Panama-Kanal existierte noch nicht, die einzige Alternative wäre eben die Umsegelung des gesamten amerikanischen Kontinents. Doch die Expedition läuft katastrophal schief. Die beiden Schiffe, die Erebus und die Terror, verschwinden mitsamt der gesamten Mannschaft. Niemand überlebt die Expedition. Nach Jahren der Ungewissheit schickt die britische Marine Such- und Rettungstrupp in die Arktis. Bei diesen Unternehmungen werden letztlich mehr Menschen sterben, als an Bord der Erebus und Terror gewesen sind. Und alles was sie finden, sind lediglich ein paar klägliche Überreste von Camps, drei Gräber, eine schriftliche Botschaft mit dem Todestag des Kapitäns sowie Aussagen von Ureinwohner, die vage Vermutungen über den grausamen Verlauf der Expedition zulassen. Mehr allerdings nicht. Über die Jahrzehnte entsteht ein Mythos. Erst im Jahre 2016 fand man das noch recht gut erhaltene Wrack der Terror, welches sich allerdings seit mehr als 150 Jahren unter Wasser befand. Sämtliche Aufzeichnungen und Überreste sind somit schon längst verrottet. Was ist geschehen? Eine genaue Antwort, wird sich niemals finden lassen, aber genau dies lässt natürlich viel Spielraum für Theorien und, wie in diesem Fall, phantastische Kreativität…

Das englisch-sprachige Cover von Dan Simmons' Romanvorlage.
Das englisch-sprachige Cover von Dan Simmons‘ Romanvorlage.
(© Little, Brown and Company)

Bereits 2006 veröffentlichte Dan Simmons den Roman „The Terror“, dessen Titel nicht nur eine Anspielung auf den Namen eines der beiden Schiffe ist, sondern auch auf die schieren Lebensbedingungen, die die Crews im Ewigen Eis ausgesetzt waren. Die wahre Faszination seines Romans bestand aber wohl darin, dass er tatsächlich nach seinem damaligen Kenntnisstand versuchte, den groben Verlauf der Expedition nachzuzeichnen. Er tat dies sehr überzeugend, auch wenn er sich auf Vermutungen und logische Schlussfolgerungen stützte und übernatürliche Elemente in Form einer „Kreatur“, wie er sie bezeichnete, hinzufügte. Diese Kreatur, eigentlich ein Dämon, die die Mannschaft der im Ewigen Eis steckengebliebenen Schiffe terrorisiert, könnte eben auch ein missgebildeter Eisbär sein, eine grauenerregende Waffe von Mutter Natur, und kein Monster im traditionellen Sinn. Auch wenn man dieses übernatürliche Element ablehnt, so bleibt die Faszination am möglichen (eben realistischen) Grauen, das sich abgespielt haben muss, erhalten. Und demnach überrascht es auch nicht, dass man sich dieser wohl reißerischen Variante des Stoffes nun für eine TV-Serie annahm.

Nicht nur über dem Eis warten Bedrohungen...
Nicht nur über dem Eis warten Bedrohungen…
(© AMC Network Entertainment LLC.)

„The Terror“ besticht nicht nur durch seine großartigen Charaktere, einem extrem hohen Produktionsniveau und einer eleganten Regie, sondern vor allem auch durch ein hohes Maß an historischer Authentizität, wie man sie vielleicht nur von hoch budgetierten Hollywood-Produktionen kennt. Es ist faszinierend in diese reale, historische aber schon längst vergangene Welt einzutauchen. Man hat trotz aller teils reißerischen Horror-Elemente nie das Gefühl, eine phantastische Geschichte zu erleben. Natürlich stößt die Inszenierung auch an ihre Grenzen. Auf unter 50 Kilo abzumagern, um den drohenden Hungertod anzudeuten, wollte man dem Cast dann wohl doch nicht zutrauen. Interessant ist allerdings, dass die Serie historisch so genau ist, dass die Wahrnehmung des Zuschauers Fehler ausmachen will, wo wohl keine zu finden sind. Der Zuschauer taucht somit in eine vertraute, aber gleichzeitig fremde Welt ab. So wurde oft moniert, dass in der zweiten Episode die Crew nach sechs Monaten im Ewigen Eis noch zu frisch aussieht. Unsere eigene Logik täuscht uns hier und versucht Fehler auszumachen, wo historisch betrachtet keine sind. Dies wertet, insofern man sich mit der Materie befasst, die Produktion sogar auf. Was nämlich vergessen wird: Zu dem Zeitpunkt sind alle Vorräte noch vorhanden und man geht fest davon aus, dass man aus dem Eis wieder herauskommt. Des Weiteren legte die Schiffsführung selbst in den absurdesten Situationen immer sehr großen Wert auf militärischen Anstand und Sitte. Man hatte damals gepflegt zu sein. Selbst im Gefecht. Praktisch war die Kleidung (der Waffenrock) von Soldaten zur damaligen Zeit nicht, aber elegant und repräsentativ. Ich erinnere bei solcher Kritik gerne an eine Szene aus dem Film „Die Bounty“ (1984) als der Kapitän (Anthony Hopkins) seinem Offizier (Mel Gibson) am Tisch zurechtweist, seine Uniform auch beim Essen ordentlich zu tragen, obwohl diese ihm wegen eines frisch gestochen Tattoos aufgrund der sehr engen Nähte der Kleidung am Hals große Schmerzen bereitet hatte. Das alles ist historischer Kontext, der heute befremdlich und damit in der ein oder anderen Situation unglaubwürdig wirkt, weil man eben immer den Fehler macht und wohl automatisch Parallelen zur Gegenwart zieht. Wenn man sich die Frage stellt, wie man sich selber verhalten würde, dann geht der Zuschauer automatisch von einer Person (nämlich der eigenen) aus, die im 21. Jahrhundert lebt. Heutzutage würde niemand auf die Idee kommen und wertvollen Frachtraum für 200 Bibeln verschwenden (wie bei der echten Expedition). 1840 war dies eben anders. Da war eine Bibel genauso lebenswichtig wie ein Atlas, da die Religiosität und die feste Überzeugung an einen Gott noch weitaus stärker ausgeprägt war. Für den Kapitän der Expedition ist es nur logisch, das Schicksal auch in Gottes Hände zu legen und ihm durch Gebete sein Wohlwollen zu bekunden. Genauso wichtig, wie Wind und Wetter zu achten. Dieser Glaube bestimmt die Handlung als auch Motivation der Charaktere. So befremdlich oder irritierend dies heutzutage sein mag. Für Fans der Serie ist der Wikipedia-Artikel tatsächlich zu empfehlen.

Die historische Authentizität überträgt sich meines Erachtens auch auf die übernatürlichen Aspekte der literarischen Vorlage. Im Roman besteht keinerlei Zweifel daran, dass die Kreatur ein Dämon ist. Hierauf wird sogar explizit eingegangen. In der TV-Serie tritt dies nicht ganz so deutlich hervor, auch wenn es Verweise gibt. Es existiert somit ein gewisser Interpretationsspielraum. So könnte es sich bei der Kreatur auch um eine tollwütige Missbildung handeln, ein grausamer Scherz von Mutter Natur. Interessant zu erwähnen sind hierbei die kunsthistorischen Parallelen. Bereits 1864 setzten sich Künstler mit der Franklin-Expedition auseinander. Der britische Maler Edwin Henry Landseer erschuf 1864 das Gemälde „Man proposes, Gid disposes“, welches zwei Eisbären zeigt, die die Überreste der Franklin-Expediton zerfleddern. So auch menschliche Skelette. Das Bild galt auch als Kritik am unerschütterlichen Glauben der Menschen die Natur untertan machen zu können, und dass selbst dem mächtigen British Empire im Ewigen Eis der Arktis ihre Grenzen aufgezeigt werden. Der Antagonist in Simmons‘ Buch wurde also bereits vor über 150 Jahren künstlerisch aufgegriffen, nur dass die Darstellung der Eisbären keinen übernatürlichen Hintergrund hatte.

Edwin Henry Landseers Gemälde von 1864.
Edwin Henry Landseers Gemälde von 1864.
Das Schiff steckt fest. Die Hoffnung versiegt.
Das Schiff steckt fest. Die Hoffnung versiegt.
(© AMC Network Entertainment LLC.)

Trotz des hohen Produktionswertes und der angesprochenen historischen Authentizität, existieren dennoch ein paar kleinere Ecken und Kanten. Ja, ein Gros der Serie wurde im Studio gedreht. Dies dringt ab und an durch. Das mächtige Eis der Arktis erweckt manchmal den Eindruck einer Styroporlandschaft, das künstliche Studiolicht ist in einigen wenigen Szenen klar erkennbar. Die Kreatur wurde sichtlich computeranimiert, was besonders beim Finale deutlich wird. Auch magerten sich die Schauspieler nicht gewaltsam auf fünfzig Kilo herunter, um den nahenden Hungertod zu visualisieren. Dies alles sollte allerdings zu vernachlässigen sein und würde wahrlich Jammern auf sehr hohem Niveau darstellen. Dennoch existieren Kritikpunkte, die man nicht unter dem (Eis-)Teppich kehren sollte. Das serielle Erzählen erlaubt es inhaltlich in die Breite zu gehen. Vertikales Storytelling wird dieses mittlerweile umgangssprachlich bezeichnet. Nebenhandlungen und -charakteren wird mehr Raum gegeben, obwohl diese letztlich für die eigentliche Haupthandlung relativ irrelevant sind. Dies fällt vor allem bei der achten Episode auf, in der die Crew der beiden Schiffe einen Karneval feiert. Dies gilt als Ablenkung für den bevorstehenden Todesmarsch aus dem Ewigen Eis. Auch hier besticht die Serie durch ihr Setting, welches hohen Wert auf historische Authentizität legt, aber letztlich inhaltlich kaum etwas Neues hinzufügt. Hätte man die Serie somit weitaus stringenter oder temporeicher inszenieren können? Sicherlich. Letztlich trägt die langsamere Erzählung aber auch dazu bei, nicht nur eine einzigartige, bedrückende Atmosphäre zu erschaffen, sondern als Zuschauer auch in diese unwirklich erscheinende Wirklichkeit eintauchen zu können.

Ciarán Hinds als Commander Sir John Franklin.
Ciarán Hinds als Commander Sir John Franklin.
(© AMC Network Entertainment LLC.)

Zum Glück gehen die Schauspieler in ihren Charakteren vollends auf. Hervorzuheben ist hier übrigens Ciarán Hinds als Commander Sir John Franklin. Seine gütliche und teils auch naive Charakterisierung trägt zum Unglück bei, dennoch möchte man ihn als Zuschauer dafür nicht abstrafen. Seine Argumentation im Ewigen Eis zu verharren ist nachvollziehbar, auch wenn sie letztlich der Auslöser für all das Grauen wird. Wer die wahre Geschichte kennt oder den Text aufmerksam las, weiß, dass der Commander nicht die Hauptfigur darstellen kann. Diese Aufgabe obliegt Jared Harris in der Rolle des Captains Francis Crozier, der die Terror befehligt. Im Verlauf der Serie wird sein Charakter viele unterschiedliche Phasen durchlaufen, die Harris mit Bravour meistert. Ihm zur Seite gestellt ist Tobias Menzies als Captain James Fitzjames. Anfangs als Gegenspieler konzipiert, müssen beide Charaktere zusammenarbeiten, damit ihre Crew vor allem menschlich und moralisch im Angesicht des Grauens nicht auseinander bricht. Damit es auch hier innerhalb der Gruppierung(en) einen menschlichen Gegenspieler gibt, wurde ein weiterer Charakter erschaffen, der historisch sicherlich nicht belegt ist und in seiner drastischen Darstellung vor allem in den beiden finalen Episoden die Geschichte massiv vorantreibt. Er wird es sein, der die Gruppe zum Kannibalismus verleitet. Soviel sei verraten. Dennoch geschieht dies leider nicht wirklich elegant. Sein Charakter, der sich nur langsam offenbart, wird in dessen Wahn teils zu überzogen dargestellt, so dass „The Terror“ hier leider an Glaubwürdigkeit einbüßt. Für eine Serie eine verständliche Entscheidung, um die Handlung voranzutreiben. Dazu gehört auch der vermutete reale Kannibalismus unter den Expeditionsmitgliedern (Aussagen von Ureinwohnern sowie Messer-Einschnitte an menschlichen Knochenresten untermauern diese These). Die Realität war wohl dann doch weitaus unspektakulärer und somit brutaler. Der Tod und Wahnsinn kam langsam, aber mit aller Brutalität über die Expedition, und eben unspektakulärer als in der Serie dargestellt. Inszenatorisch benötigt man eben einen Höhepunkt, auf dem die ganze Handlung hinarbeitet.

Aufwendig und mit verblüffender historischer Authentizität produziert, kann das packende menschliche Drama überzeugend und stellenweise auch angenehm eigenwillig mit phantastischen Elementen vermischt werden, ohne je zu reißerisch zu wirken. Man kann sicherlich die vorgegebene Länge von zehn Episoden oder vielleicht auch einige überzogene Charakter-Momente monieren, letztendlich stellt „The Terror“ in seiner Gänze aber mit weitem Abstand eine der beeindruckendsten Serien-Produktion der letzten Jahre und sicherlich eines der Highlights des Jahres 2018 dar.

Es ist übrigens nicht auszuschließen, dass man bei Erfolg eine weitere Staffel produziert. Die Geschichte um Simmons‘ Roman ist mit der ersten Season abgeschlossen, aber wie erwähnt fanden über Jahre zahlreiche Rettungsexpeditionen statt, die in der ersten Staffel – im Grunde schon in der Eröffnungsszene der ersten Episoden- bereits angeteast wurden.

Markus Haage

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Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!