Sicherlich war sich dessen damals niemand bewusst: Der 5. Oktober 1962 kann als Geburtsstunde zweier britischer Ikonen der modernen Popkultur angesehen werden. Mit „Love me do“ veröffentlichten die legendären Beatles ihre erste Single und mit „James Bond jagt Dr. No“ kam am selben Tag das erste Kinoabenteuer des Geheimagenten im Dienste ihrer Majestät in die britischen Kinos. Doch Bond und Beatles sind unterschiedlich gealtert. Während die Pilzköpfe aus Liverpool weiterhin uneingeschränkte Beachtung finden, wird der Agent des MI6 weitaus kritischer bewertet …
Zu den großen Ikonen der cineastischen Popkultur gehört zweifelsohne der britische Geheimagent James Bond, dessen erstes Kino-Abenteuer, „James Bond – 007 jagt Dr. No“ („Dr. No“, 1962), dieses Jahr am 5. Oktober seinen 60. Geburtstag feiert. Als Bond bereits Superschurken hinterherjagte, war der Mensch nicht einmal auf dem Mond gelandet. Die Beatles traten noch auf der Reeperbahn auf und im Vereinigten Königreich weinte man bereits dem Empire nach, welches wiederum mit zahlreichen zeitgenössischen Filmproduktionen eine verklärende, cineastische Renaissance erhielt, die sich dem abzeichnenden Ruin des Kolonialreiches fast schon trotzig entgegenzustemmen versuchte. Dazu gehörte in gewisser Hinsicht auch James Bond, der Geheimagent im Dienste ihrer Majestät, der „Little England“ wieder zu einer weltenrettenden Großmacht werden ließ. Zumindest für zwei Stunden auf der Leinwand.
Die Bond-Filme waren Produkte ihrer Zeit, die alles zur Sensation überhöht darstellten und sich nicht immer sonderlich ernst nahmen. Somit auch die aus heutiger Sicht mehr als nur fragwürdigen gesellschaftlichen Verhältnisse der 1960er- und 70er-Jahre. Eine Zeit, die für das Bond-Universum allerdings enorm prägend war – noch heute muss sich jeder neue Bond-Darsteller stets mit Sean Connery messen lassen –, und heute weitaus kritischer bewertet wird. Wie kritisch? Cary Fukunaga, Regisseur von Daniel Craigs finalen Bond-Abenteuer „Keine Zeit zu sterben“ („No Time to Die“, 2021), behauptet sogar, dass James Bond ein Vergewaltiger war.
Die Debatte um den Sexismus in den Bond-Filmen wird bereits seit Jahrzehnten geführt und poppt (übrigens extrem werbewirksam) regelmäßig zum Release eines jeden neuen Films auf. Nur exemplarisch einige (sehr) wenige Beispiele aus mehreren Jahrzehnten…
• 1995: „That ‚Sexist, Misogynist Dinosaur‘ James Bond“
• 1997: „Arts: Tomorrow Never Dies, And Nor Does 007 Bond“
• 2002: „Mondo Bond“
• 2006: „Philosophers Agree: Buffy Would Kick Bond’s Ass“
• 2008: „Releasing from Bondage, as the Bond girls find feminism“
• 2012: „Is Skyfall a less sexist Bond film?“
• 2015: „Frauenheld und Alkoholiker“
• 2018: „Vom Frauenschläger zum geprügelten Hund“
• 2021: „Never mind the explosions – how sexist is No Time to Die?“
Dabei wird natürlich ein klassischer Fehler gemacht: Die Figur wird nach heutigen Maßstäben ohne jeglichen zeithistorischen und kulturellen Kontext bewertet.
Eine Figur wie James Bond war Projektionsfläche für allerhand Fantasien. Die Figur, deren Welt und Abenteuer, waren oft simpel gestrickt und sollten vor allem eines darstellen: Eskapismus und Entertainment für den sogenannten kleinen Mann. Und, ja: die Hauptzielgruppe waren Männer. Mit einer Kinokarte kauften diese sich nicht einfach nur zwei Stunden Unterhaltung, sondern auch eine Flucht aus der Realität. Eine Kino-Welt der exotischen Schauplätze, fremden Kulturen, betörenden Frauen und finsteren Schurken. Eine Kino-Welt, in der alles größer und aufregender sein musste. Nie ging es nur um eine Verschwörung dunkler Mächte, sondern immer um die Rettung der Weltordnung oder gar der ganzen Welt. Bond kämpfte gegen Supermächte und Superschurken. Alles musste demnach „larger than life“ sein. Kino war eben noch eine Sensation; und wie in einem Zirkus musste in der Manege namens „große Leinwand“ im Minutentakt eine Attraktion präsentiert werden. Ein Faustkampf! Eine Verfolgungsjagd! Ein fremdes Land! Ein schmieriger Schurke! Eine hinterlistige Intrige! Eine technische Sensation! Eine betörende Schönheit!
Als perfektes Exempel kann hierfür das fünfte Bond-Abenteuer „Man lebt nur zweimal“ („You Only Live Twice“, 1967) herhalten. Bond in Japan! Clash of Cultures! Donald Pleasence als Blofeld! Karin Dor als Femme fatale! Schießende Zigaretten! Ein-Mann-Bausatz-Hubschrauber mit Flammenwerfern und Luftminen! Ninjas! Raumschiffe! Vulkane! Und nie sah Sean Connery als 007 besser aus. Peak-Performance! Und natürlich die (bisher) beste Version der Titelmusik von „Liebesgrüße aus Moskau“ („From Russia with Love“, 1963). Eine Sensation nach der nächsten. Nicht immer perfekt, aber stets unterhaltsam inszeniert.
Zu diesem Zeitpunkt hatte man jährlich (!) einen Bond-Film herausgebracht und somit kaum Zeit zu reflektieren. Was funktionierte, wurde neu inszeniert. Natürlich stets spektakulärer. Es galt schließlich ein Publikum zu unterhalten, dessen Ansprüche und Erwartungen mit jedem Film stiegen. Teils waren sich die Filme ihrer absurden Überhöhungen somit auch bewusst und besaßen gar parodistische Elemente. Die Komödie „Austin Powers – Das Schärfste, was Ihre Majestät zu bieten hat“ („Austin Powers: International Man of Mystery“, 1997), eigentlich ein alberner Klamauk, der die Klischees der ersten Bond-Filme mit Sean Connery verballhornte, ist aus heutiger Sicht an den Originalfilmen weitaus dichter dran, als es damals erschien. Schon die Titelsequenz von „007 jagt Dr. No“ ging mit einem albernen Gag in den Film über. Aber auch spätere Bond-Filme pflegten stets einen gewissen Nonsens. Blofeld, der ewige Widersacher Bonds in den frühen Jahren, wurde (wohlgemerkt in einem Rollstuhl sitzend!) in „In tödlicher Mission“ („For Your Eyes Only“, 1981) von Bond (Roger Moore) an einem Helikopter aufgespießt und einen Industrie-Schornstein heruntergeworfen. Eine der wohl albernsten Eröffnungssequenzen der Bond-Geschichte. Auch, weil Blofeld (ein Stuntman mit Latex-Glatze) in einigen Einstellungen sichtbar eine Puppe war (ab 4:16). Aber genau wie dies purer Klamauk ist, so kann die Szene eben auch mit grandiosen Action-Momenten aufwarten. Bei Minute 2:55 erlebt der Zuschauer einen echten „Maximum rate turn“ eines Helikopters, den man heutzutage wohl nur noch mit CGI umsetzen würde.
Was für die Schauplätze und die Action galt, galt natürlich auch für Bonds Liebschaften. Auch die Liebesszenen waren oft mit einem Augenzwinkern inszeniert. Teils gar furchtbar albern. Man denke nur an das Finale von „Der Mann mit dem goldenen Colt“ („The Man with the Golden Gun“, 1974). Dennoch muss man dies nicht alles schönreden oder verklären. In „Feuerball“ („Thunderball“, 1965) darf eine sonnenbadende Informantin mit ihrem BH gewürgt werden, um Informationen aus ihr herauszupressen, und der Humor in „Man lebt nur zweimal“ lebt regelrecht von zahlreichen sexistischen Witzen, die zumindest in ihrer puren Masse schon damals mehr als nur fragwürdig gewesen sein müssen. Diese werden zwar stets mit einem Augenzwinkern präsentiert – auch, weil der Film sich als heiteres Abenteuer versteht, welches ursprünglich als Höhepunkt und Abschluss von Connerys Engagement gedacht war –, am eigentlichen Inhalt oder der Tonalität ändert dies allerdings nichts.
Tanaka: „In Japan kommen die Männer immer zuerst. Die Frauen als Zweite.“
Bond: „Na, hier werde ich mich später mal zur Ruhe setzen.“Tanaka: „Wissen sie überhaupt, warum unsere Mädchen so sehr von ihnen fasziniert sind? Weil sie Haare auf der Brust haben! Japaner haben alle eine wunderbare, glatte Haut.“
Bond: „Ein japanisches Sprichwort sagt: Kein Vogel baut sein Nest in einem kahlen Bau.“Tanaka: „Verpassen wir ihnen eine ganz besondere Tarnung. […] Sie werden ein Mädchen heiraten, dass auf der Insel bekannt ist.“
Bond: „Ist sie wenigstens hübsch?“
Tanaka: „Sie hat ein hübsches Pfannkuchengesicht.“
Bond: „Ein Scheiß-Plan.“Bond: „Warum schmecken Chinesinnen eigentlich anders als unsere Frauen?“
Ling: „Du meinst hoffentlich besser!“
Bond: „Hm. Nur ein bisschen anders. So wie ‚Peking-Ente‘ sich von russischem Kaviar unterscheidet. Aber ich mag beides!“
Und so sollte man auch so ehrlich sein und zugeben, dass nicht nur alberne Gags, sondern vor allem in den frühen Bond-Filmen auch Szenen existieren, die heutzutage mindestens als ZIEMLICH fragwürdig anzusehen sind. Es ist gar mehr als nur purer Sexismus, wenn Bond ein (kicherndes) mehrmaliges „Nein!“ einer jungen Dame ignoriert, ihr stets mit einem Grinsen näher kommt und zurückdrängt, nur um sie wenige Sekunden später nackt in einer Dusche gegen eine Glaswand zu drücken. Nein bedeutet Nein. Auch für Mr. Bond. Und dies war auch schon vor 57 Jahren der Fall. Insbesondere, wenn die junge Frau eine Hotel-Angestellte ist und Bond als wohlhabender Gast nicht nur mehrere Jahre älter ist, sondern sich auch in einer gewissen Machtposition befindet. Zu behaupten, dass genau diese Szene damals halt noch als harmlose Avanche gedacht war, ist übrigens falsch. Schon die BBFC, die britische Freigabebehörde, hatte 1965 ihre Probleme damit.
Bereits Mitte der 1990er-Jahren war man sich den problematischen Szenen früherer Bond-Abenteuer auch auf Seiten des Produktionsstudios bewusst. Zwar durfte Pierce Brosnan ab „GoldenEye“ (1995) immer noch durch die Betten hüpfen, aber mit Dame Judy Dench als M begann eine neue Ära, in der man Bond auch mal konterte.
„Ich halte sie für einen sexistischen, frauenfeindlichen Dinosaurier. Ein Relikt des Kalten Krieges.“
Ein Umdenken fand statt, dass ihren Höhepunkt im aktuellen Bond-Abenteuer „Keine Zeit zu sterben“ fand. Daniel Craig, dessen Filme sich vor allem durch einen harten Realismus auszeichneten, stellte Bond weitaus fragiler dar. Abenteuer in den Betten fremder Frauen spielten kaum noch eine Rolle. Ein Umstand, den Regisseur Paul Verhoeven übrigens drastisch kritisierte („Sex is the essence of existence! There was always sex in Bond! They did not show a breast, or whatever. But they had some sex.“). Ein neuer Bond wird kommen (… dies war nicht zweideutig gemeint!) und dieser soll tatsächlich den neuen gesellschaftlichen Normen entsprechen („[…] it’s a reinvention of Bond. We’re reinventing who he is […].“).
Doch trotz der einsetzenden Reflexion der Produzenten und der (teils oberflächlichen) Kritik zu jedem Start eines Bond-Films, sollte man eben nicht den Fehler machen und glauben, dass die klassische Bond-Reihe eine Aneinanderreihung von sexistischen Zoten und schwachen Frauen wäre. Mit Figuren wie Moneypenny oder Pussy Galore hatte die Serie frühzeitig dem ewigen Macho Bond starke Frauen gegenüber gestellt, die ihm nicht nur scharfsinnig kontern konnten, sondern ohne deren Hilfe er vielleicht nicht einmal die Bösewichter überlebt hätte. Denn viele Bond-Girls – so die offizielle und eigentlich herabwürdigende Bezeichnung – waren stets gut gebildete, hochtalentierte Frauen in gesellschaftlichen Ausnahmepositionen. Als die Frauen in der alten Bundesrepublik ohne Erlaubnis ihrer Väter oder Ehemänner nicht einmal den Führerschein machen durften, übte Honor Blackman als Pussy Galore in „Goldfinger“ all ihre Stunts bereits selbst aus. Der Charakter Galore ist im Film übrigens eine Kunstfliegerin, die am Ende gar Goldfinger hintergeht und den CIA informiert. Ohne Pussy stünde Bond ziemlich schlecht dar. Es ist ein ewiger Irrglaube, dass die Bond-Girls nur naive Dummerchen wären, die letztlich lediglich als optisches Beiwerk zum Beischlaf vorhanden wären. Dies war übrigens auch in der Vorlage, den legendären Pulp-Romanen von Ian Flemming, schon so. So hielt die Website Hunting-Bond.com fest:
„There is Honey Rider from ‚Dr. No‘ (1962). She grew up as an orphan, got raped as a youngster and later killed her tormentor. In the book she is the one, who rescues an unconscious Bond from Dr. No’s island. Domino from ‚Thunderball‘ (1965) starts as the love interest of villain Largo. When she realizes, that he betrayed her, she helps Bond – and is the one, who kills Largo. With an harpoon. And there is Pussy Galore from ‚Goldfinger‘ (1964). She is a lesbian and doesn’t give a damn about Bond. Instead she rules the (first) women-only crime gang in the US and is pilot. Sure, at the end of the book (and the movie) Pussy has an affaire with Bond – but she leaves him right at the start of the novel ‚Trigger Mortis‘. Bonds life was just too boring for her.“
Kontext ist deswegen bei der Bewertung der alten Bond-Filme unheimlich wichtig. Die Drehbücher der Filme basierten auf reißerischen Pulp-Romanen, die wiederum von Männern geschrieben wurden, die in den 30er-Jahren sozialisiert wurden und mit Sensationen begeistern und Fantasien „befriedigen“ wollten. Der erste Bond-Film ist nun sechzig Jahre alt. Der Regisseur verstarb vor 28 Jahren, die Drehbuchautoren wurden vor 113 Jahren geboren. Sie waren Kinder ihrer Zeit und Produkte ihrer Umwelt. Und so wird man auch in sechzig Jahren auf die moderne Bond-Reihe um Daniel Craig zurückblicken und wohl kritisieren, dass jeder Bösewicht physische Behinderungen besitzt oder jeder Konflikt mit brachialer Gewalt ausgetragen wird. Zeiten ändern sich, genauso wie Sehgewohnheiten, Geschmäcker und Ansichten. Dies ist auch gut so, ansonsten würden wir alle noch in Höhlen leben.
Deswegen ist die Diskussion auch so wichtig. Aber genauso wichtig ist, wer sie in welchem Kontext führt, damit sie fair ausgetragen werden kann. Nur so kann ein echter Erkenntnisgewinn und Wandel stattfinden, der für beide Seiten der Debatte einen wirklichen Mehrwert besitzt. Es gilt grundsätzlich: Alles ist etwas vielschichtiger und komplexer, als angenommen. So kann selbst Sean Connery als ewiger Ur-Bond auch gleichzeitig vollkommen richtig und vollkommen falsch liegen. In diesem Sinne:
„Man trinkt nie einen 53er Don Perignon, wenn er eine Temperatur von über acht Grad hat. [Vollkommen richtig!] Das wäre genauso, als wenn man den Beatles ohne Ohrenschützer zuhören würde. [Vollkommen falsch!]“
– James Bond (Sean Connery) in „Goldfinger“ (1964)
Auf die nächsten sechzig Jahre Bond.
‐ Markus Haage