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#BoycottMulan: Hongkongs Freiheitskampf zwischen Popcorn-Kino und Propaganda

verfasst am 19.August 2019 von Markus Haage

Das offizielle Teaser-Plakat zur Realverfilmung. (© Disney)

Das Hollywood unbedingt den chinesischen Markt erobern will und hierbei teils auf unglaublich opportunistische Weise vorgeht und sich auch der chinesischen Staatspropaganda unterordnet, ist kein nennenswertes Geheimnis. Seit Jahren werden selbst große Blockbuster inhaltlich angepasst, damit sie in der Volksrepublik China, mittlerweile der größte Filmmarkt der Welt, aufgeführt werden dürfen. Bekanntestes Beispiel: Im Remake „Red Dawn“ (2012) mussten die chinesischen Invasoren nachträglich in nordkoreanische Angreifer umgewandelt werden, da das Studio wirtschaftliche Konsequenzen fürchtete. Es lassen sich zahlreiche solcher Beispiele finden. So zum Beispiel die Realverfilmung von Disneys „Mulan“, die im März nächsten Jahres in die Kinos kommen soll. Es ist eine der ersten Großproduktionen eines westlichen Studios in China. Erfahrungsgemäß können solche Produktionen nicht ohne inhaltliche Restriktionen seitens der chinesischen Behörden umgesetzt werden.

Um die Zeichentrickversion in China offiziell veröffentlichen zu dürfen, musste Disney Ende der 90er-Jahre mit den chinesischen Behörden verhandeln. Disney-Filme waren zeitweise in China gar verboten, da Disney es wagte den Dalai Lama in Martin Scorseses „Kundun“ (1997) zu zeigen. Der Film wurde von Disneys Tochterfirma Touchstone Pictures produziert.

Der Dalai Lama ist das religiöse Oberhaupt Tibets. Das Land wurde in den 50er-Jahren von China besetzt und die traditionelle Kultur wird seitdem unterdrückt. Regimetreue Han-Chinesen werden zudem angesiedelt, um die ursprüngliche Bevölkerung und Kultur zu verdrängen. Die Lage ist mittlerweile so schlimm, dass es regelmäßig zu Selbstverbrennungen von tibetischen Mönchen kommt. So oft, dass diese verzweifelte Form des Protestes sogar eine eigene Wikipedia-Seite besitzt.

Als der erste Trailer zur Mulan-Realverfilmung online gestellt wurde, befürchtete der britische Guardian, dass der Film sich der nationalistischen und imperialistischen Agenda der chinesischen Führung unterordnen würde („I can’t help wonder why Disney are remaking Mulan at all if they are simply going to pander to the nationalistic values espoused by the mainland Chinese government – especially as it looks exactly like the kind of “Imperial dramas” that the state media are currently taking aim at.“). Ähnliche Befürchtungen haben anscheinend auch viele der friedlichen Demonstratnten in Hongkong unter denen in den letzten Tagen der Hashtag #BoycottMulan trendete.

Die US-Schauspielerin Liu Yifei, gebürtige Chinesin mit US-Pass, die im Remake „Mulan“ die titelgebende Hauptrolle spielt, hat in dem chinesischen Netzwerk Weibo, kontrolliert von der chinesischen Regierung, eine Grafik der Zeitung People’s Daily (Renmin Ribao), einem Parteiorgan der Kommunistischen Partei Chinas, geteilt. In dieser Grafik heißt es laut BBC News: „Ich unterstütze die Polizei von Hongkong. Ihr könnt mich jetzt ja auch zusammenschlagen.“ Auf Englisch heißt es weiter: „Was für eine Schande für Hongkong“. Die Schande sei wohl das „aggressive Verhalten“ der Demonstranten.

Der letzte Satz („Ihr könnt mich jetzt ja auch zusammenschlagen.“) referenziert einen angeblichen Gewaltakt gegen einen „Journalisten“ der regimetreuen Zeitung Global Times, einem weiteren Parteiorgan der Kommunistischen Partei Chinas. Diesem wurde vorgeworfen, dass er als Undercover Agent für die Regierung spioniert. Daraufhin soll er von Demonstranten festgehalten und angegriffen worden sein. Dieser eine Vorfall wird seitdem millionenfach zitiert und als Beleg vor allem in den sozialen Netzwerken angeführt, dass die Demonstranten in Hongkong nicht friedlich seien und man gegen sie vorgehen muss.

Es sei dazu gesagt, dass eine Desinformationskampagne seit Monaten auf Hochtouren läuft. Regimetreue Trollfarmen überfluten das Netz mit Gerüchten und Diffamierungen gegenüber den Demonstranten. Twitter musste nach eigener Aussage alleine in den letzten Tagen rund 200.000 Fake-Accounts löschen, die nachweislich nur dazu dienten die Propaganda der chinesischen Staatspartei zu verbreiten. Auch werden allem Anschein nach regimetreue Akteure als Demonstranten verkleidet, die dann in schwammigen Handyvideos, die im Netz gepostet werden, Polizisten angreifen.

Oder, wie die New York Times berichtet, weißgekleidete Schlägertrupps greifen die Demonstranten an und die Polizei schaut weg.

Das chinesische Staatsfernsehen CCTV ging sogar soweit und nutze ein bekanntes Zitat des KZ-Häftlings Martin Niemöller um die Demonstranten zu diffamieren. In der Propaganda hieß es: „Als sie die Straßen blockierten und Fahrer festnahmen und folterten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Fahrer. Als sie Fluggäste schubsten und attackierten und den Zugang zu den Check-in-Schaltern blockierten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Fluggast. Als sie mich angriffen, gab es keinen mehr, der für mich sprechen und protestieren konnte.“ Die Schauspielerin Liu Yifei greift diese Propaganda nun direkt auf und verbreitete sie weiter, indem sie an der Mär spinnt, dass die Demonstranten gewaltätige Horden seien („Ihr könnt mich jetzt ja auch zusammenschlagen.“).

Vielleicht soll die Propaganda nicht nur zur Diffamierung der Demonstranten beitragen, sondern auch einen Grund für ein militärisches Eingreifen rechtfertigen. Als neue Drohgebärde lässt China vor der Grenze zu Hongkong mittlerweile Militär auffahren. Wie ein CNN-Reporter berichtet, wurde folgendes Video von den nahe Hongkong auffahrenden Militär bewusst in den chinesischen Staatsmedien ausgestrahlt. Erinnerungen an das Massaker auf dem „Platz des himmlischen Friedens“ werden wach.

Die Menschen gehen in Hongkong friedlich auf die Straße, um gegen die ausufernde Polizeigewalt und die Einschränkung ihrer demokratischen Rechte zu demonstrieren. Erst heute waren 1,7 Millionen Hongkonger Bürger demonstrieren. Hongkong hat eine Gesamtbevölkerung von 7,4 Millionen. Dem Gesicht der Proteste kann man übrigens auf Twitter folgen.

Der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong wurde nach der chinesischen Übernahme vor 22 Jahren eigentlich eine halbwegs demokratische Übergangsphase von fünfzig Jahren zugesprochen. Mit eigener Währung und einem eigenen politischen System. Nach und nach werden von der Zentralregierung in Peking die Rechte der Bürger allerdings eingeschränkt. Die neue chinesische Führung unter Xi Jinping, ein nationalistischer Kommunist, der sich auf Lebenszeit hat vereidigen lassen, geht mittlerweile brutal ihren eigenen Machtinteressen nach. Seit geraumer Zeit werden regimekritische Bürger Hongkongs entführt und in Umerziehungslager gesteckt oder vor Gericht gestellt. Al-Jazeera berichtete erst letztens Jahr über das merkwürdige Verschwinden von fünf Buchhändlern aus Hongkong, die regierungskritische Literatur verkauften, die in Hongkong allerdings noch legal ist.

Ein neues Gesetz soll diese Entführungen nun im Grunde legitimieren. Dagegen protestieren die Menschen.

Für Disney ist die Situation ein PR-Desaster, auch weil das Verhalten der Hauptdarstellerin eine gewisse Heuchelei darstellt. Als eingebürgerte US-Amerikanerin kann sie dank des US-Passes nun alle demokratischen Freiheiten genießen, die den Hongkonger Bürgern letztlich verwehrt bleiben. Die Situation stellt natürlich auch eine enorme Herausforderung dar, die wohl letztlich dazu führen wird, dass zumindest das große Blockbuster-Kino noch platter gebügelt wird. Im besten Fall sollen die Filme keine unbequemen Fragen mehr stellen, nicht anecken oder in irgendeiner Art und Weise Kontroversen hervorrufen. Sie müssen in allen Kulturkreisen funktionieren und anscheinend allen potenziellen Zuschauergruppen gerecht werden. Und sei es die kommunistische Staatspartei.

Ein mir leider unbekannter Künstler hat indes das Kinoposter von „Mulan“ abgewandelt. Anstatt der Hauptdarstellerin Liu Yifei zeigt es nun eine Krankenschwester, die bei den Protesten in Hongkong durch Geschosse der Polizei auf den rechten Auge erblindete. Wenige Tage später war sie wieder bei den Demonstrationen dabei, um erneut verwundete Demonstranten zu pflegen.

Sie ist vielleicht nicht Disneys Mulan, aber sie kann die Mulan der Demonstranten sein.


Nachtrag, 08.09.2020: „Mulan“ wurde international Anfang September 2020 auf Disney+ veröffentlicht. Die Filmemacher bedanken sich im Abspann beim Turpan Public Security Bureau. Hierbei handelt es sich um die Sicherheitsbehörden der Provinz Turfan, wo große Teile des Films gedreht wurden. Diese Sicherheitsbehörde zeichnet sich maßgeblich für die Administration der Konzentrationslager in Turfan aus.

Markus Haage

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Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!