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„Resident Evil: Welcome to Raccoon City“ (USA, 2021)

verfasst am 27.Dezember 2021 von Markus Haage

(© Constantin Film AG)

Gleich zwei neue Verfilmungen der populären „Resident Evil“-Videospielreihe stehen in den Startlöchern: eine Miniserie für Netflix und ein Spielfilm für das Kino. Beide Adaptionen machen es sich zur Aufgabe ein komplexes und kontrastreiches Videospiel-Universum in eine filmische Realität zu übertragen. Der Spielfilm versucht dies, indem er sich vollends dem Charme vergangener Horror-Jahrzehnte unterwirft …

Offizielle Synopsis: Die Ursprungsgeschichte spielt im Jahr 1998. Raccoon City, einst die florierende Heimat des Pharmariesen Umbrella Corporation, ist heute eine sterbende Stadt im Mittleren Westen. Der Exodus des Unternehmens hat die Stadt in ein Ödland verwandelt, unter dessen Oberfläche sich ein großes Übel zusammenbraut. Als dieses Böse entfesselt wird, verändert sich die Stadt für immer. Es gibt nur eine kleine Gruppe von Überlebenden, die sich nun zusammenraufen muss, um die Wahrheit hinter der Umbrella Corporation aufzudecken und die Nacht zu überstehen.

Als im Jahre 1996 der japanische Spieleentwickler Capcom sein Horror-Survival-Game „Resident Evil“ („Biohazard“, 1996) für die PlayStation veröffentlichte, konnte niemand erahnen, zu was für einem einflussreichen Franchise das Spiel letztlich heranwachsen wird. Nur vom ersten Game gingen bis dato mindestens 120 Millionen Einheiten über die Ladentische, worunter allerdings auch Remakes mit verbesserter Grafik gehörten. Es folgten 27 weitere Videospiele – das Gros Spin-Offs-Games zu den offiziellen Fortsetzungen des Originals –, als auch Comics, Romane, Animes, sowie eine Kinofilmreihe bestehend aus sechs Filmen, die alleine weltweit mehr als eine 1,3 Milliarden US-Dollar umsetzen konnte (nicht inflationsbereinigt) und rund fünfzehn Jahre umspannen sollte. Der erste Film erschien bereits 2002, während das Finale, „Resident Evil: The Final Chapter“ (2017), eben erst 2017 folgte. Die Filmreihe wurde maßgeblich vom britischen Regisseur Paul W.S. Anderson inszeniert und produziert und dessen Ehefrau, der ukrainischen Schauspielerin Milla Jovovich, präsentiert. Die Handlung der Spielreihe wurde recht lose verfolgt, inszenatorisch bediente man sich stets den reißerischsten Elementen. Schauwerte, nicht Inhalte, sollten die Franchise definieren. Eine innere Logik war kaum vorhanden, auch, weil die Handlung oft keinerlei Konsequenz kannte, teilweise mit jeder Fortsetzung negiert wurde, und immer teils absurd übertriebenen Action-Sequenzen unterlag. Glücklich waren mit den Umsetzungen vor allem die Fans nie sonderlich – auf die Kritiker nahm man stets nie Rücksicht –, auch wenn ein gewisser Teil des Massenpublikums anscheinend seinen Spaß mit dem teils irren und stets wirren Genre-Mashup hatte. Aufgrund der schieren Masse an Filmen, konnte das Box-Office der Franchise letztlich die Milliarden-Umsatzgrenze durchbrechen. Mit der Möglichkeit eines weiteres Sequel kokettierte man zwar noch im letzten Teil, aber war sich wohl bewusst, dass die Reihe sich bereits überlebt hat. Ein Reboot musste her.

Alle Filme der ersten Reihe von 2002 bis 2017.
(© Constantin Film AG)

Nach dem offiziellen Ende der Filmreihe wurde es nur kurzzeitig still um das Franchise. Neben den obligatorischen Animationsfilmen kündigte man recht fix nicht nur einen neuen Kinofilm, sondern auch eine Streaming-Serie an. Letztere sollte von James Wan produziert werden, der nicht nur das „Saw“-Franchise begründete, sondern mittlerweile auch andere Computerspiel-Adaptionen wie etwa „Mortal Kombat“ (2021) erfolgreich produziert hat. Doch Wan stieg aus, die Serie wurde ohne ihn realisiert und wird 2022 ihre Premiere auf Netflix feiern. Ein erster Teaser wurde bereits Anfang Dezember 2021 via Twitter veröffentlicht. Es ist nicht besonders viel zu sehen, das Update des Titelschriftzuges suggeriert allerdings, dass man die Geschichte in die Moderne versetzen wird. Vielleicht eine freie Adaption, die sich einem gewissen Realismus unterwirft. Dies ist natürlich zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation, sollte dies aber der Fall sein, so bräuchte man sich zumindest inszenatorisch keine Sorgen machen, dass Netflix-Serie und der neue Kinofilm „Resident Evil: Welcome to Racoon City“ (2021) sich im Wege stehen würden. Denn dieser setzt inszenatorisch nicht nur vollends auf die Vergangenheit, sondern umarmt auch die überphantastischen Elemente der Vorlage vollkommen, auch wenn er sich hierfür etwas Zeit nimmt.

Albert Wesker (Tom Hopper), Jill Valentine (Hannah John-Kamen), Brad Vickers (Nathan Dales) und Chris Redfield (Robbie Amell) schlagen sich durch Raccoon City.
(© Constantin Film AG)

Bereits der Vorspann des Films mahnt Genrefans an längst untergegangene Zeiten, indem die filmischen Vorbilder und Einflüsse von Regisseur Johannes Roberts zitiert werden: Die Schriftart „Albertus“ – natürlich weiß auf schwarzen Grund – leitet den Film ein. Zweifelsohne ein Verweis auf das Werk von John Carpenter, der diesen Font in zahlreichen seiner Filme, zu denen Klassiker wie „Die Klapperschlange“ („Escape from New York“, 1981), „Das Ding aus einer anderen Welt“ („The Thing“, 1982) oder „Sie leben“ („They live“, 1988) gehören, verwendet hat. Dies ergibt auch durchaus Sinn, ist die Eröffnung doch tatsächlich in den tiefsten 1980er-Jahren gefangen. Doch nach dem Prolog springen wir mehrere Jahre in eine andere „Gegenwart“, nämlich die 1990er-Jahre. Eine Kleinstadt am Rande des wirtschaftlichen Untergangs wird uns präsentiert, die für zahlreiche vergessene US-Städte Pate stehen könnte. Damit ist bereits der erste, aber noch leichte Bruch gegenüber der Videospielvorlage vollzogen, in der Raccoon City eine industrielle Großstadt mit über 100.000 Einwohnern darstellte. In vorherigen Adaptionen besaß diese gar immer einen gewissen internationalen Touch, in „Resident Evil: Welcome to Raccoon City“ hingegen nicht. Jede Einstellung und jede Requisite versprüht einen Hauch der Americana. Sei es das Police Department, die High School, das American Diner oder die Bungalows im „Craftsmen Style“ der Mittelschicht; das hier präsentierte Raccoon City ist ein charmant heruntergekommenes Sammelsurium der US-amerikanischen Folklore. Das Setdesign ist hierbei vor allem auch im Detail enorm um Realismus bemüht.

Da der Film in den 1990er-Jahren spielt, findet man zahlreiche Artefakte der 1980er-Jahre in gebrauchten Zustand wieder. Sei es ein Toploader-Videorecorder oder die bereits leicht abgenutzten Holzvertäfelungen als modische Einrichtungs-Verirrung der späten 70er aus dem Baumarkt. Dieser harte Realismus steht selbstredend in einem vollkommenen Kontrast zu den phantastischen Elementen, die sich bemerkenswert langsam, aber konstant aufbauen. Anfangs luchsen nur todkranke Stadtbewohner hinter ihren Vorhängen hervor – man spürt das die Kleinstadt ein dunkles Geheimnis in sich trägt, welches nicht nur für drastische Schauwerte, sondern auch persönliche Tragödien sorgt –, doch schnell bricht der Wahnsinn über Raccoon City herein. Eine alte Luftsirene kündigt die Apokalypse an, die von einigen Bewohnern, die wohl über zu viel Wissen verfügen, fast schon vorausahnend hingenommen wird. Ein Gefühl der Schwere liegt stets auf dem Film, der Untergang wird gefühlt fast schon als Erlösung vom Zuschauer interpretiert. Untote, rasend vor Wut, bahnen sich ihren Weg durch die Häuser und Straßen. Die bisher spärlich gesäte Mythologie entfaltet sich in den Bildern und teils extremen Gewaltdarstellungen vollends. Will man dem Werk ein großes Kompliment machen, dann ist es sicherlich dieser Aufbau, der ein zugleich interessantes neues, aber gefühlt bekanntes Setting erschafft, dass viele Fragen beantwortet, aber genug offen lässt, um stets die handelnden Figuren als auch die Zuschauer im Ungewissen zu lassen und der erschaffenen Welt damit eine gewisse Mystik verleiht. Dies zeigt aber paradoxerweise ein kleines Problem der Dramaturgie auf: Mit einer Lauflänge von rund 107 Minuten fühlt sich das Werk etwas zu kurz an und rauscht fast schon durch seine Handlung, deren echte Komplexität, die gescheiterten Experimente der Umbrella Corporation, sie letztlich nur oberflächlich behandeln kann, um nicht zu viel vorwegzunehmen. Es ist der Ballast einer Originstory, eines ersten Kapitels, das auch „Resident Evil: Welcome to Raccoon City“ etwas zu schaffen macht. Eine Miniserie wäre aufgrund der inhaltlichen Möglichkeiten durchaus angemessen gewesen.

Marina Mazepa als Lisa Trevor.
(© Constantin Film AG)

Die Mystik unterstützt das Grauen, kratzt aber natürlich nur an der Oberfläche. Der Zuschauer spürt stets, dass sich darunter noch eine weitaus größere Welt befinden muss. Insbesondere, da das noch für Horrorverhältnisse realistische Grauen im Verlauf der Handlung die überphantastischen Elemente der Vorlage natürlich bedienen muss. Gewaltige Monstren und bizarre Mutationen lösen die Zombies im Verlauf der Geschichte als größte Bedrohung ab. Dies gibt natürlich die Vorlage vor, allerdings muss sich dadurch der eher bodenständige Horror in einen reißerischen Actionfilm wandeln. Ein schwieriger Balanceakt, der vornehmlich beim eigentlichen Antagonisten der Story, William Birkin (Neal McDonough), nicht immer recht überzeugen kann. Dessen Hintergrundgeschichte gerät grundsätzlich zu kurz. Zu wenig ist über ihn bekannt, als dass der Zuschauer irgendeine Art von Emotion investieren kann. Nicht einmal Hass, da er letztlich nur das tut, was er tun muss: den Protagonisten eine Motivation zum Handeln geben und sie mit der größeren Storyline, die sich noch im Verborgenen befindet, zu verknüpfen. Die Funktion des Werks besteht demnach darin, eine Basis für eine neue Filmreihe zu errichten. Zahlreiche Storyelemente werden angeteast und Charaktere eingeführt, ihr Handlungsbogen aber natürlich nicht beendet. So erleben wir auch die Geburtsstunde von Albert Wesker (Tom Hopper), dessen gesamter Storyarc nur seiner Wiedergeburt als Schurke dient. Somit kann sich „Resident Evil: Welcome to Raccoon City“ inhaltlich nicht vollends entfalten, muss sich manchmal gar zurückhalten, auch wenn der Film bemüht ist, sich eine gewisse Unabhängigkeit zu erarbeiten, was ihm vor allem in den ersten beiden Dritteln mit Bravour gelingt und sich lediglich im Finale aufgrund der Vorlage etwas verliert. Ein Finale, das inszenatorisch nur schwer auf Zelluloid übertragbar ist. Die „Resident Evil“-Videospielreihe lebte stets von einem gewissen Genremix. Zombies, Mutanten und Monster überrannten Raccoon City. Dieses getreu der Vorlage, aber auch vollends überzeugend im Einklang mit dem eher bodenständigen Horror zu bringen, scheint fast unmöglich. Hier stößt jede Adaption (zumindest bisher) an ihre Grenzen. Dies fällt leider auch bei „Resident Evil: Welcome to Raccoon City“ auf. Wenn sich Antagonist Birkin zum Ende hin in ein wild um sich schlagendes CGI-Monster verwandelt, so steht dies streng genommen in einem zu starken Kontrast zum vorherigen Horror, aber bedient natürlich die Welt des Originals. Ein Mittelweg zu finden ist kaum möglich, wenn man sich nicht zu extrem von der Videospielreihe distanzieren will.

Die Bewohner von Raccon City mutieren …
(© Constantin Film AG)

Manchen Fan mag dies missfallen, da dieser vielleicht auf eine exakte Adaption wert legt. Im Vorfeld wurden gar Diskussionen in den sozialen Netzwerken über die Frisuren der Protagonisten geführt und Leon-Darsteller Avan Jogia sah sich aufgrund von Hasskommentaren sogar dazu gezwungen, seinen Instagram-Account mit 3,3 Millionen Followern zu schließen. Inhaltlich als auch inszenatorisch wäre aber eine bloße Kopie der Videospiele kaum sinnvoll gewesen. Es würde den Zweck einer Verfilmung – somit die Übertragung auf ein anders Medium – unterwandern, da diese letztlich den dramaturgischen Regeln eines Films und nicht eines Spiels unterworfen ist. Deswegen sollte man sich selber einen Gefallen tun und sich von falschen Erwartungen befreien. „Resident Evil: Welcome to Raccoon City“ stellt selbstredend eine Neuinterpretation dar, die in einigen Momenten die Vorlage im Detail honoriert, aber grundsätzlich natürlich den Anspruch besitzen muss, ein eigenständiges Werk mit einer eigenen künstlerischen Vision darzustellen. Und dies gelingt Regisseur Roberts überraschend gut. Es verhält sich sogar eher so, dass die genaue Adaption der Vorlage, insbesondere in Bezug auf den Antagonisten, dem Film etwas schadet. „Resident Evil: Welcome to Raccoon City“ hätte auch eine grandiose Zombie-Apokalypse in „Smalltown, America“ ohne jeglichen Verweis auf das „Resident Evil“-Universum sein können. Roberts präsentiert nicht nur eine Art doppelten Retro-Horror – die 90er verpackt als 80er –, sondern prägt das Werk auch durch seinen ganz eigenen Stil. Wenn ein Untoter lichterloh brennend das Polizeirevier zu den Klängen von Jennifer Paiges Popsong „Crush“ (1998) betritt, wird man unweigerlich an die farbintensive und teils selbstironische Inszenierung von „The Strangers: Opfernacht“ („The Strangers: Prey at Night“, 2018) erinnert (abgesehen von der Tatsache, dass diese vollkommen unerwartete Szene eine der Höhepunkte des Films darstellt). Roberts besitzt nicht nur ein einmaliges Gespür für Horror als auch Comedy, sondern auch für Atmosphäre. Seine teils apokalyptisch anmutenden Horrorbilder erinnern an die großen Genreklassiker der 1980er-Jahre. Der Film ist demnach nicht nur eine Adaption eines Videospiels, sondern auch eine Verbeugung an das 80ies-Horrorkino. Die bereits erwähnte Verwendung der Schriftart „Albertus“ macht dies auf charmante Art und Weise natürlich extrem deutlich. Und so ist es fast schon etwas „schade“, dass es sich bei „Resident Evil: Welcome to Raccoon City“ tatsächlich um eine Verfilmung eines der einflussreichsten Horror-Videospiele der letzten 25 Jahre handelt. Als eigenständiges Werk – und Roberts hat sich durch seine extrem stilsichere Inszenierung diese Eigenständigkeit auch durchaus erarbeitet – hätte der Film sicherlich mehr Beachtung erhalten. Wäre er vor 35 Jahren veröffentlicht wurden, so würde man ihn heutzutage vielleicht gar als kleinen Kultklassiker feiern.

„Resident Evil: Welcome to Raccoon City“ stellt einen kurzweiligen und atmosphärisch dichten Retro-Horror dar, der das Original in einigen ikonischen Momenten honoriert, aber auch den Mut besitzt Elemente der Vorlage(n) in einen neuen Kontext zu setzen. Für Genrefans ohne hohe Erwartungen, die insbesondere ein Faible für Mitternachtsfilme wie „Der Blob“ („The Blob“, 1988) oder „Phantoms“ (1998) besitzen, sicherlich zugänglicher, weil man auch gewisse Tropes und Klischees, an denen das Feuilleton regelmäßig verzweifelt, akzeptiert. Fans des „Resident Evil“-Universums werden mit der Adaption wiederum wohl hadern. Die Frage, ob „Welcome to Raccoon City“ eine gute „Resident Evil“-Verfilmung ist oder nicht, sollte aber eigentlich zweitrangig sein. „Resident Evil: Welcome to Raccoon City“ ist schlichtweg ein stylisher und durchweg unterhaltsamer Horrorfilm, der sein Genre zelebriert und reichhaltig zitiert. Lediglich zum Ende hin verliert das Werk etwas von diesem vorab etablierten Charme, da letztlich die Pflichtaufgabe lediglich darin bestand, ein weitaus größeres (und in Teilen extrem wildes) Universum vorzubereiten. Man kann sich freuen, wenn sich dieses in einer Fortsetzung unter Roberts‘ Regie manifestieren kann, dann aber vielleicht mit (noch) mehr Freiheiten, auch wenn dies der ein oder andere Fan nicht gerne hört.

Markus Haage

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Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!