Nachdem Uwe Boll vor vier Jahren seinen Ruhestand ausrief, kehrt er nun ins Filmgeschäft zurück, um eine „dystopische Trilogie über die Bundesrepublik Deutschland der Gegenwart“ zu drehen. Bereits der erste Teil sorgt schon während der Produktion für eine erneute Kontroverse.
Uwe Boll gehört wohl zu den kontroversesten deutschen Filmemachern der letzten zwanzig Jahre. Seine Werke polarisierten frühzeitig und wurden teilweise regelrecht von vor allem Online-Kritikern zerrissen. Zeitweise wurde er immer wieder als „schlechtester Regisseur aller Zeiten“ bezeichnet, was allerdings objektiv betrachtet Nonsens ist. Allerdings hielt Boll auch nie seine eigene Meinung zurück und eckte damit per se immer an. Er stritt sich nicht nur öffentlich mit seinen Kritikern (und boxte sogar in Las Vegas gegen sie), sondern auch mit seinem Publikum, wenn es seine Vision hinterfragte. Boll steht für seine Überzeugungen ein, auch wenn er dafür eine Eskalation riskiert.
Demnach verarbeitete er auch immer wieder Themen, wie den Darfur-Konflikt („Darfur“) oder den Bankencrash anno 2008 („Assault on Wall Street“), auf seine ganz eigene, teils provozierende Art und Weise. Boll finanzierte seine Filme größtenteils selbst und ging hierbei zumindest aus filmökonomischer Sicht kreativ vor. Die Werke „Bloodrayne: The Third Reich“ (2010), „Bluberella“ (2011) und „Auschwitz“ (2011) entstanden unter seiner Regie innerhalb weniger Wochen an ein und demselben Set, da Cast, Crew, Technik und Ausstattung eh vorhanden waren (alle Filme spielen zur Zeit der NS-Diktatur). Ob man allerdings die Produktion über ein seriöses Thema wie dem Vernichtungslager Auschwitz so angehen sollte, ist natürlich eine andere (nicht minder wichtige) Frage.
2016 erklärte Boll offiziell seinen Rücktritt aus dem Filmgeschäft, da „der Markt tot sei“ und „Filmemacher kein Geld mehr verdienen würden“ und widmete sich vor allem seinem Restaurant Bauhaus in seiner Wahlheimat Vancouver, für dieses er sogar renommierte Preise gewann. Zwischenzeitlich versuchte er Warner Bros. zu verklagen, da sie für einen Fantasy-Actioner den Titel „Rampage – Big Meets Bigger“ (2018) verwendeten. Ein Filmtitel, der seines Erachtens zu nah an seinem Film „Rampage“ (2009) sei und nur ein „typical feelgood, popcorn bullshit movie that the studios use to brainwash America even more“ sein könnte. Auch kokettierte Boll mit der Idee, politisch aktiv zu werden. Er trat der Kleinstpartei „Unser Haus für Deutschland“ als Bundespressesprecher bei. Dies trug wohl keine Früchte. Nachdem er seine Biografie unter dem Titel „Ihr könnt mich mal!“ verfasst hatte, ist er nun als Filmemacher zurückgekehrt. Zu seiner Begründung heißt es fast schon anmaßend, dass „der deutsche Film Uwe Boll mehr denn je braucht“, da es ihm bewusst wurde, was für ein „talentloser, unbedeutender, technisch schlecht gemachter, harmloser Scheissdreck in Deutschland Tag für Tag produziert wird“.
Als erstes Projekt nach seiner Schaffenspause wählte er den erschütternden Amoklauf von Hanau im Februar 2020 aus. Der Film soll den Titel „Hanau: Deutschland im Winter – Part 1“ tragen und noch in diesem Jahr veröffentlicht werden. In einer Presse-Mitteilung heißt es: „Ähnlich wie bei seinen Filmen Siegburg, Darfur und Auschwitz zeigt hier Uwe Boll harte Realität und Verbrechen mit den Mitteln des internationalen Kinos.“ Die Aufmerksamkeit scheint Boll gewiss zu sein. Selbst die Bild-Zeitung berichtete über die Dreharbeiten. Als Aufhänger der Story verwendete man Momo-Darstellerin Radost Bokel, die in Bolls Film ein Mordopfer spielt.
Natürlich löst Bolls Film bereits jetzt Kontroversen aus. Er selber kündigte seine Trilogie als „radikale Filme“ an, in dem es „keine Guten mehr gibt“. Eben „kein Pädagogik-Zeug, kein Film mit Sorge und Verständnis, sondern wieder voll in die Fresse“. Dass dies zumindest für Irritationen sorgt, dürfte demnach nicht überraschen. Claus Kaminsky, Oberbürgermeister von Hanau, meldete sich so auch auf Facebook zu Wort und legte ein Statement der Stadtverwaltung vor, indem man Boll vorwirft, dass er „unter dem Deckmäntelchen der Aufklärung und Kunst“ lediglich „das unbeschreibliche Leid der Opfer und ihrer Angehörigen“ nutzen möchte, um den „Wunsch nach Publicity und die blutrünstige Sensationsgier [des] Publikums zu befriedigen“. Des Weiteren wirft die Stadt Hanau Uwe Boll vor, dass er „im Vorfeld keinen Kontakt zu den betroffenen Familien gesucht habe“. Dies würde wohl auch für die Opfervereine gelten.
Boll hält dagegen und erklärt, dass er sehr wohl versucht hätte Kontakt mit den Opfern über die Bildungsinitiative Ferhat Unvar aufzunehmen, dies aber angeblich der Stadt Hanau nicht mitgeteilt wurde. Allerdings geschah diese Kontaktaufnahme wohl erst im Februar 2021. Mitte März 2021 waren die Dreharbeiten bereits beendet. Des Weiteren erklärt Boll, dass er mit seinem Filmprojekt die Ereignisse in Hanau so zeigen will, wie sie seines Erachtens wirklich waren und „nicht wie es bequem gewesen wäre“.
Natürlich hat Boll als Künstler das Recht die Ereignisse von Hanau filmisch zu interpretieren. Dies steht außer Frage und ist schon durch die Kunstfreiheit verfassungsrechtlich vollends gedeckt. Dennoch sind die Opfer und ihre Familien durch die grausamen Ereignisse ungewollt zu Personen der Zeitgeschichte geworden. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen durch Filmproduktionen reale Ereignisse und Persönlichkeiten vollkommen verzerrt oder gar falsch dargestellt wurden und die öffentliche Wahrnehmung über sie dementsprechend ungerecht ausfiel. Dies endete in einzelnen Fällen teilweise dramatisch. Man denke hierbei an das Portrait eines deutschen Geschäftmanns, der in Paul Greengrass‘ Film „United 93“ (2006) über die Terroranschläge vom 11. September 2001 unter seinem echten Namen als feige dargestellt wurde, obwohl es hierfür keinerlei Belege gibt. Die historische Persönlichkeit wurde unter Echtnamen einfach mit einer filmischen Kunstfigur verknüpft. Uwe Bolls Vita steht nicht zwingend für dramaturgisches Feingefühl und öffentliche Aussagen wie „voll in die Fresse“ bei einem so hochsensiblen Thema zu machen, sind sicherlich nicht dabei hilfreich die Seriosität der Produktion zu untermauern.
Demnach sollte man insbesondere bei einem so jungen Thema, bei dem die Aufarbeitung noch läuft, dementsprechend aus Rücksicht vor den Opfern vielleicht zurückhaltender und verständnisvoller agieren. Dies bedeutet selbstredend nicht, dass das Filmprojekt eingestellt werden sollte, so wie es die Stadt Hanau fordert – Kunst muss frei sein –, aber es kann auch nicht zu viel verlangt sein, zumindest die Wahl der Worte und das öffentliche Auftreten insbesondere in Hinblick auf die Opfer würdevoller zu gestalten. Kunst lebt von Aufmerksamkeit, das ist eine Binsenweisheit, aber dies sollte in erster Linie für das Kunstwerk und weniger für den Künstler gelten. Was die berechtigte Frage aufwirft, ob es noch um das Kunstwerk, somit die künstlerische Aufarbeitung und Interpretation des Themas, oder den Künstler an sich geht? Auch diese Frage darf mal zur Diskussion gestellt werden.
‐ Markus Haage
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