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Disenchantment – Staffel 1 (USA, 2018)

verfasst am 19.August 2018 von Markus Haage

(© Netflix)

Simpsons-Macher Matt Groening kehrt auf die Mattscheibe zurück: Nach Smalltown, America, und dem futuristischen Weltraum, begibt er sich mit „Disenchantment“ nun in mittelalterliche Fantasy-Gefilde ohne dabei aber seinen sozial- und popkultur-kritischen Humor zu verlieren.

In Dreamland regiert die Tradition. Die Königstochter Tiabeanie Mariabeanie De La Rochambeaux Drunkowitz, kurz Beanie, soll gegen ihren Willen verheiratet werden, damit ihr Vater ein neues Bündnis schmieden kann. Doch daran denkt sie gar nicht. Lieber möchte sie sich weiter raufen, vergnügen und trinken. Die Hochzeit platzt, der Vater ist empört. Beanie will ihrer Rolle einfach nicht gerecht werden! Unterstützung hierbei erhält sie nur von dem Elfen Elfo und dem Dämon Luci. Ebenfalls zwei Aussätzige …

Beanie, Elfo und Luci geben sich dem Alkohol hin.
(© Netflix)

Nach „The Simpsons“ (1989–) und „Futurama“ (1999–2004, 2007–2013) kehrt Matt Groening zurück zur traditionellen Animationsserie. Der Teasertext verriet es bereits. Ein mittelalterliches Fantasyreich gilt nun als Hintergrund für seine neue Serie. Kenner von Groenings Werk sahen dies vielleicht schon vor Jahren kommen. In dem Futurama-Film „Bender’s Game“ von 2009 reisen die Charaktere in ein alternatives Fantasy-Universum, welches eigentlich eine Dungeons & Dragons-Kampagne des zwölfjährigen Cubert Farnsworth darstellt, an der sich der verrückt gewordene Bender beteiligt hatte. Hier durften die Macher aus dem Vollen schöpfen und all ihre gelagerten High Fantasy- und Rollenspiel-Gags verwerten, die in der Sci-Fi-lastigen Serie sonst mit Ausnahme von Referenzen keinerlei Verwendung fanden. Es machte ihnen sichtlich Spaß, auch weil in diesem alternativen Universum alles möglich war. So wird nicht nur die griechische Mythologie zitiert, sondern eben auch die großen Werke der Fantasy-Literatur, aber es war nicht das erste Mal, dass „Futurama“ ihre Liebe zur Fantasy zelebrierte. In der Folge „Anthology of Interest I“ (2000) tritt Gary Gygax, Schöpfer des modernen Pen-&-Paper-Rollenspiels, sogar persönlich auf („Lasst uns würfeln!“). Die High-Fantasy- und Rollenspiel-Kultur war somit schon immer Teil der Welten von „Futurama“ und „Simpsons“. Demnach überrascht es auch nicht, dass man sich mit „Disenchantment“ nun in das phantastische Mittelalter begibt, aber natürlich ist auch dies mit einem Twist versehen.

Das Königspaar. Einer von den Beiden hat Tentakel und erinnert auch nicht nur zufällig an Melania Trump.
(© Netflix)

Die Macher hinter „Disenchament“ bedienen selbstredend alle Klischees und Stereotypen, die die populäre Fantasy hergibt. Die Welt der Serie besteht aus Schlössern, Burgen, Feen, Sümpfen, dunklen Wäldern, Trollen, Riesen, Rittern, alten Hexen und wirren Zauberern. Doch trotz dieses genre-typischen Settings und ihrer Charaktere, richtet sie sich an ein globales Publikum und vermischt irritierend wirksam unterschiedliche Kulissen. Nicht nur das europäische Mittelalter dient als Vorbild (es stellt im Grunde die Hauptkulisse dar), auch zitiert man mit dem Reich von Dankmire das feudale Asien, dessen Bewohner im Hinterland wiederum an US-amerikanische Südstaaten-Rednecks erinnern, die sich gegen Kreaturen zur Wehr setzen müssen, die man nur aus den Welten und Werken von J.R.R. Tolkien und Robert E. Howard kennt. Grimms Märchen treffen auf moderne Mythen, griechische Mythologie wird mit Seemannsgarn vermischt, urbane Legenden mit religiöser Mystik. Sogar zeitgenössische Sozialkritik findet sich in der Serie wieder. Feen als Prostituierte, Gartenzwerge, die in den Krieg ziehen, Henkersmeister, die ihre Kinder ernähren müssen. Ein extrem wilder kultureller Mix, dessen Gegensätze dank viel Selbstironie zusammengehalten werden. Dies gilt auch für die Hauptcharakterin. Beanie ist nicht einfach nur eine aufsässige Prinzessin, wie man sie aus sovielen Fantasy-Parodien oder modernisierten Filmumsetzungen traditioneller Fantasy-Stoffe kennt. Sie sieht sich als gleichberechtigt an und besitzt nicht nur dieselben Träume und Wünsche wie die männlichen Charaktere, sondern auch dieselben Bedürfnisse. In der vierten Episode „Schlossparty-Massaker“ erleben wir, wie Beanie eine Feier schmeißt und auf der Suche nach einem Mann für (allerhöchstens) eine Nacht ist. Oder eher zehn Minuten. Alleine diese Folge dürfte vielleicht bei einigen männlichen Zuschauer für Irritationen sorgen. Diese überraschende Ehrlichkeit, die letztlich einfach nur natürlich ist, kommt ohne jeglichen Filter daher. Beanies Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, ohne sich dafür schämen oder rechtfertigen zu müssen, wird offen verarbeitet und nicht verkapselt durch Gags oder Referenzen nur angedeutet. Das allein ist bereits erfrischend anders inszeniert und offenbart auch einen gewissen Sexismus. Natürlich wurden Frauen in der populären Fantasy oft als starke Charaktere dargestellt, es gab aber immer gewisse Grenzen, die sie nicht überschreiten durften oder sollten. Und seien es nur die Grenzen von Sitte und Anstand (oder was man dafür hielt). Eine Frau, die sich mit Pfeil und Bogen zur Wehr setzt, gar eine Armee anführt und in die Schlacht zieht, stellt keine Seltenheit dar, solange sie sich gewissen Moralvorstellungen unterwarf. Sie durfte frech und aufmüpfig sein und für ihr Recht kämpfen, aber bitte schön die Beine zusammenhalten, während es wiederum zum guten Ton eines jeden Heros gehörte, dass er seine Weibergeschichten offen zur Schau trug. Auch die Fantasy bediente über Jahrzehnte eben vordergründig ein männliches Publikum und die, nennen-wir-es-mal Vielweiberei der Helden somit eine gewisse männliche Fantasie. Matt Groening dreht den Spieß nun um. Beanie möchte selbstbestimmt und frei leben, in allen Lebenslagen. Persifliert wird dies durch die Tatsache, dass Beanie aber eben doch nur eine Teenagerin ist, die eigentlich keine Ahnung hat, was sie denn überhaupt sein will. Und so begeht sie eben dieselben Fehler, die jeder beim Heranwachsen begeht und an die man sich peinlich berührt eigentlich nicht erinnern will.

Unterstützt wird Beanie von der typischen Bande von Misfits, den Außenseitern, die nirgends ein Zuhause finden. Mit dem Elfen Elfo und dem Dämon Luci hat man zwei einzigartige Charaktere erschaffen, die nicht gegensätzlicher hätten sein können. Sie dienen nicht nur zur Auflockerung, verstehen sich nicht als reine Sidekicks, sondern treiben die Handlung teils maßgeblich voran. Vor allem Elfo wird in der finalen Folge eine dramatische Bedeutung erhalten. Und diesbezüglich kann die Serie auch inhaltlich am meisten überraschen. Die Serie hält einen äußerst gelungenen dramatischen Twist parat, den man ansonsten nur aus Realserien erwartet hätte. Dieser wird selbstredend an dieser Stelle nicht verraten.

Drei gegen Alle.
(© Netflix)

Strukturell irritiert die Serie den Zuschauer dennoch. Auch wenn es sicherlich für die Macher nützlich war, dass man keine klassische Lauflänge mehr bedienen musste (so umfasst eine typische Simpsons- oder Futurama-Episode rund zweiundzwanzig Minuten) und deswegen gar einzelne Folgen von knapp vierzig Minuten Spieldauer existieren, kann der Zuschauer der Serie dadurch schwerer folgen. Dies liegt auch daran, dass man sich bewusst dazu entschieden hat, einzelne, in sich abgeschlossene Abenteuer in eine größere Rahmenhandlung zu packen. Die überlange Pilotfolge endet mitten in der Handlung und die letzten drei Episoden stellen im Grunde eine große Storyline dar, die allerdings vorab schon vorbereitet wurde und mit einem Cliffhanger endet, wie man ihn eigentlich nur aus Realserien kennt. Diese waren wohl auch Vorbild für die Erzählstruktur. In bestimmten Folgen oder auch nur Momenten funktioniert dies fabelhaft, auch weil die Serie Ereignisse aus vorangegangenen Episoden handlungsbestimmend referenziert, dennoch fällt es zumindest schwer „Disenchantment“ traditionell zu folgen. Vielleicht ist dies auch einfach nur eine konsequente Reaktion auf das Binge-Watching-Phänomen. Es darf natürlich angezweifelt werden, dass der typische Netflix-Zuschauer anno 2018 eben wie der traditionelle TV-Zuschauer anno 1998 jede Woche nur eine Episode schaut – eher das komplette Gegenteil wird der Fall sein –, weswegen die vielen übergreifenden Storylines für diesen Zuschauer-Typ nicht so schwer ins Gewicht fallen, dennoch wirkt die Gewichtung der einzelnen Episoden als etwas unausgegoren. Ein ähnliches Phänomen erlebte man bereits bei „Star Trek: Discovery“ (2017–), deren erste Staffel mehrere große Handlungsbögen bediente, sich dennoch aber dazu entschied, auch traditionelle Missions-Episoden zu verwenden, die den Zuschauer aber im Kontext der Serie aus der eigentlichen Handlung herausrissen. „Disenchantment“ wird sich demnach für eine zweite Staffel inhaltlich etwas neu sortieren und entscheiden müssen, welchen Pfad man beschreiten will. Nichts spräche gegen mehrere abendfüllende Spielfilme – auch dies funktionierte beispielsweise bei „Futurama“ bereits hervorragend – oder eben gegen eine echte serielle Handlungsstruktur.

„Disenchantment“ kann auf vielen Ebenen überzeugen. Die Serie muss keinen Fäkal-Humor bedienen, um anzuecken, Normen kritisch zu hinterfragen oder das eigene Genre auf den Kopf zu stellen. Es ist auch überraschend, dass sie ihre größten Stärken aus den sozialkritischen und weniger popkulturellen Humor zieht. Verweise auf die großen populären Fantasy-Geschichten sucht man zwar nicht vergebens, sie sind aber überraschend spärlich gesät. Dennoch muss festgehalten werden, dass einzig noch der richtige Erzählrhythmus fehlt. Eine zweite Staffel könnte dies bereits wettmachen und vielleicht erleben wie diesbezüglich dann eine kleine Revolution. Eine Episoden-Animationsserie, die sich dem episodenhaften Erzählen einzelner Ereignisse weitestgehend verweigert und zu einer echten seriellen Erzählstruktur findet, die man ansonsten nur aus Realserien, wie etwa „Game of Thrones“ (2011–2019), kennt. Zumindest darf dank des Cliffhangers wohl angenommen werden, dass es wie bei der Serie „Futurama“, die übrigens als Easter Egg auch zitiert wird, keinen Reset-Button geben wird, wie man ihn von den „Simpsons“ kennt. „Disenchantment“ besitzt somit unglaublich viel Potenzial, dass wohl erst zur vollen Entfaltung kommen wird, wenn es seine eigentliche Form gefunden hat. Dies muss man übrigens im schnelllebigen Binge-Watch-Zeitalter, in der viele Serien einfach nur noch weg geglotzt werden, nicht als Kritik verstehen. Auch „Die Simpsons“ bedurften eines gewissen Warmlaufens, bis man eben die subversive Genialität der Staffeln 3 bis 6 erreichte.

Markus Haage

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Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!