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Disney+: Ein teils zensierter Safe Space für nostalgische Filmfans

verfasst am 20.April 2020 von Markus Haage

Disney+ ist vor drei Wochen auch in Deutschland an den Start gegangen. Es wurde im Vorfeld viel getrommelt und versprochen. Nach einer einwöchigen Testphase muss der erwachsene Cineast allerdings erkennen, dass der Streaming-Dienst des Medien-Giganten Disney letztlich nur einen zensierten Safe-Space für nostalgische Filmfans darstellt.

Auch wenn Disney+ klar auf aktuelle familienfreundliche Unterhaltung ausgerichtet ist, finden sich zahlreiche Genre-Klassiker der vergangenen achtzig Jahre im Programm wieder. Es ist auf den ersten Anblick ein Traum, so manche Perle aus der Kindheit wiederentdecken zu können. „Krieg der Sterne“ („Star Wars“, 1977) in 4k, „20.000 Meilen unter dem Meer“ („20,000 Leagues Under the Sea“, 1954) oder „Die Nacht der Abenteuer“ („Adventures in Babysitting“, 1987) in HD! Da werden Erinnerungen wach. Auch wenn „Die Simpsons“ (1989–) noch im falschen Bildformat präsentiert werden, kann man sich in den ersten Seasons regelrecht verlieren oder natürlich spezifisch mal alle „Treehouse of Horrors“-Episoden anschauen. Aufgelockert wird dies durch ein Arsenal an aktuellen Blockbuster-Franchises, auf die sich Disney in den letzten Jahren konzentrierte, sowie die Highlights der aufgekauften Studios. Marvel Studios, 20th Century Fox, National Geographic, ABC, Lucasfilm, Pixar, – alles unter einem Dach vereint.

Montage ausgewählter Highlights auf Disney+
(© Disney+)

Dennoch macht sich nach dem ersten Stöbern eine gewisse Ernüchterung breit, denn der neue Streamingdienst limitiert sich aufgrund seiner Zielgruppe inhaltlich dementsprechend. Erwachsener als in „Star Wars: Die letzten Jedi“ („Star Wars: The Last Jedi“, 2017) oder „Wolverine: Weg des Kriegers“ („The Wolverine“, 2013) wird es nicht werden – „Logan“ (2017) ist schon nicht mehr vertreten –, wenn man von den vielleicht wenigen kleinen Klassikern der „Dark Disney“-Phase, wie etwa „Das schwarze Loch“ („The Black Hole“, 1979), „Taran und der Zauberkessel“ („The Black Cauldron“, 1985), „Tron“ (1982), „Oz – Eine fantastische Welt“ („Return to Oz“, 1985) oder auch „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ („Who framed Roger Rabbit“, 1988), absieht. Wobei es nicht unerwähnt bleiben sollte, dass Werke wie „Das Böse kommt auf leisen Sohlen“ („Something Wicked This Way Comes“, 1983) oder „Der Drachentöter“ („The Dragonslayer“, 1981) nicht vorzufinden sind. Vielleicht geschieht dies noch zu einem späteren Zeitpunkt.

Aber selbst diese inhaltlich anspruchsvolleren Werke, die aufgrund ihrer eigenwilligen Inszenierung sich auch noch Jahrzehnte nach Erstveröffentlichung vom Einheitsbrei abheben, sind für ein modernes Publikum nicht zwingend in ihrer ursprünglichen Form vorhanden. Die klassische „Krieg der Sterne“-Trilogie (1977–1983) ist nur in der Special Edition von 1997 abrufbar und an die berühmte „Han shot first“-Szene aus dem Originalfilm wurde abermals Hand angelegt. Selbst unschuldig wirkende Filmklassiker der 1980er-Jahre werden auf Disney+ nur zensiert dargestellt. Die englische Tonspur von „Die Nacht der Abenteuer“ wurde zumindest in einer Szene entschärft, Daryl Hannahs halbnackter Hintern in der Fantasy-Komödie „Splash – Eine Jungfrau am Haken“ („Splash“, 1984) mit zusätzlichen digitalen Kopfhaar überdeckt. Eine Texteinblendung weist zwar vor der Wiedergabe darauf hin, dass das jeweilige Werk modifiziert wurde, dennoch hinterlässt es gerade bei Filmfans einen fahlen Beigeschmack. Zensur ist Zensur, egal, wie klein sie auch ausfallen mag. Dies macht Disney+ sicherlich auch für ältere Filmfans unattraktiver. Zumindest sollten sie ihre alten DVD- und Blu-ray-Auflagen nicht sofort entsorgen.

Aber dies offenbart das nächste Dilemma: die meisten Filmfans werden diese Filme zudem bereits auf DVD oder Blu-ray besitzen. Man kennt somit das Programm natürlich schon. Es fehlt tatsächlich noch an neuen und innovativen Content, der zudem inhaltlich herausfordernd ist. Besonders im Dokumentationsbereich wird dies deutlich. Trotz einiger tatsächlicher Highlights, wie der faszinierende Oscar-Gewinner „Free Solo“ (2018), stechen dem User sofort zig Dokumentationen über das Disney-Imperium ins Auge, die die Historie des Unternehmens präsentieren. Natürlich wird hier nicht kritisch hinterfragt. Die Geschäftspraktiken des Konzerns bei der Veröffentlichung neuer Blockbuster, die sogar Quentin Tarantino öffentlich kritisieren musste, spielen zum Beispiel keine Rolle. Es wird eine heile Welt von Visionären präsentiert. Somit Eigenwerbung für die zahlreichen Nebenprodukte des Konzerns.

Auf Disney+ wird kein „House of Cards“ (2013–2018), „Game of Thrones“ (2011–2019), „The Boys“ (2019–) oder „Haus des Geldes“ („La casa de papel“, 2017–) laufen. Auch die Ankündigung neuer Marvel- und Star Wars-Serien wird diesen inhaltlich herausfordernden Reichtum nicht wirklich gewährleisten. Denn die Welten, die präsentiert werden, sind nicht neu, sondern bekannt. Inhaltlich ist das Revier somit abgesteckt: Seichte Unterhaltung für die ganze Familie. Eltern wissen, was ihre Kinder erhalten, wenn sie diese vor dem Fernseher absetzen. Erwachsene Filmfans allerdings auch. Disney+ ist somit eine Art Safe Space für nostalgische Filmfans, auch wenn die Nostalgie in einigen Fällen durch eine absurde Selbstzensur beschnitten wird.

Lohnt sich Disney+ somit? Man kann sicherlich in Nostalgie verfallen und über mehrere Wochen alte Klassiker aus der Kindheit neu entdecken. Für eine echte Konkurrenz gegenüber Netflix, Amazon Prime Video, Peacock oder HBOmax, ist der Streamingdienst aber bereits jetzt inhaltlich zu limitiert. Die Abhilfe wird dann wohl irgendwann das zu erwartende Bundle mit Hulu schaffen, die Serien wie „The Handmaid’s Tale – Der Report der Magd“ (2017–) produzieren und bereits zu 100 % dem Disney-Konzern gehören. Solange kann man wohl mit einem Abo warten.

Markus Haage

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Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!