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Kommentar: Der drastische Wandel der Medien- und Filmlandschaft

verfasst am 20.Juli 2018 von Markus Haage

Ein paar lose, etwas unstrukturierte Gedanken, Spekulationen und Prognosen zum derzeit stattfindenden Wandel der globalen Medien- und Filmlandschaft… Keine Gewähr, denn ich hoffe selber, dass nicht alles so eintreten wird.

Die Schlagzeile liest sich, als wäre sie recht belanglos: „Walmart will ins Streaming-Geschäft einsteigen!“ (zumindest gibt es hierfür mehrere Hinweise). Unbedeutend, oder? Nicht, wenn man sich der Marktmacht des Unternehmens bewusst ist. Walmart, der führende Supermarkt-Riese aus den USA, stellt laut Forbes das umsatzstärkste Unternehmen der Welt dar, welches 2018 einen erwarteten Umsatz von 500 Milliarden US-Dollar einfahren wird. Es ist davon auszugehen, dass sie beim Ausbau ihres Streaming-Services (falls dieser passiert) ähnlich wie Amazon oder auch Disney vorgehen werden. Bedeutet: Einkauf von bekannten und prestigeträchtigen Lizenzen und Umsetzung mit einem hochdotierten Budget. So hat Amazon nur für die Produktion der Herr der Ringe-Serie ein Budget von fast einer Milliarde US-Dollar veranschlagt. Gleiches gilt auch für die Umsetzung der Trisolaris-Trilogie. Netflix hingegen wird bis zu 16 Milliarden US-Dollar in neue Produktionen investieren, auch weil einige der klassischen Studios verstärkt auf eigene Streaming-Dienste setzen und ihre Produkte beginnen abzuziehen. Netflix muss sich relativ schnell ein großes, buntes Backprogramm aufbauen, welches andere Studios über Jahrzehnte angesammelt haben.

„The Handmaid’s Tale“ vom Streaming-Service Hulu: Düster, brutal, sehr eigenwillig und hochqualitativ produziert. Vor wenigen Jahren noch undenkbar…(© Hulu LLC)

So arbeitet Disney an einem eigenen Streaming-Dienst und kündigte bereits an, dass ihre großen Prestige-Projekte, wie etwa die Marvel- als auch die Star Wars-Filme, bald nicht mehr bei Netflix zur Verfügung stehen werden. Lucasfilms als auch Marvel Studios gehören zum Disney-Konzern, und demnächst wohl auch das prestigeträchtige Filmstudio 20th Century Fox, welches sie für 71,4 Milliarden US-Dollar (so gut wie) gekauft haben. Bei dem Kauf geht es vor allem um die Lizenzen. Fox kann auf Jahrzehnte an Eigenproduktionen zurückgreifen. „Alien“ (1979), „Predator“ (1987), „Planet der Affen“ (1968), „X-Men“ (2000), „Die Simpsons“ (1989-), „Family Guy“ (1999-), „Akte X“ (1993-), „Avatar“ (2009), „Titanic“ (1998), „Stirb Langsam“ (1987),… Dies alles (und noch viel, viel, viel mehr) gehört dann dem Disney-Konzern. Ein weiterer Großteil der Marvel-Helden (X-Men, Fantastic Four) kann nun zu Marvel Studios zurückkehren und die etablierten Stoffe können firmenintern weiter verarbeitet werden. Der TV-Sender ABC gehört ebenfalls zum Disney-Konzern, weswegen es auch nicht verwundert, dass die Marvel-Serie „Agents of S.H.I.E.L.D.“ dort läuft, während das Marvel-Universum von Netflix („Daredevil“, „The Punisher“, etc.) nicht mehr mit weiteren Charakteren (somit neuen Serien) versorgt werden wird. Warum auch die Konkurrenz mit den eigenen Lizenzen versorgen? Aber eine Prequel-Serie von „Stirb Langsam“ (dank des Fox-Deals) als Aushängeschild von Disneys neuen Streaming-Dienst? Absolut denkbar (auch wenn diesbezüglich nichts angekündigt ist). Das Gerücht, dass Fox bereits an einer TV-Serie arbeitet, die im Alien-Universum spielt, könnte vielleicht kein Zufall sein. Die Lizenzen zu populären Stoffen besitzen einen großen Wiedererkennungsfaktor, stellen im Grunde eine Marke für sich dar, generieren dadurch alleine Aufmerksamkeit und verfügen über eine feste, globale Fan-Gemeinde. YouTubeRed setzte bei ihrer ersten großen Eigenproduktion auf die Serie „Cobra Kai“, einem Serien-Sequel zu „Karate Kid“ (1984). Die grandiose Serie „The Handmaid’s Tale“ wird von MGM und dem in Deutschland kaum bekannten Streaming-Service Hulu co-produziert, da MGM eben die Verfilmungsrechte inne hat. Bereits 1990 setzte Volker Schlöndorff die Romanvorlage als Film für MGM um. Die traditionellen Filmstudios sitzen somit auf Gold, nämlich ihren Lizenzen.

Wir werden es in naher Zukunft sehr oft erleben, dass die traditionellen Studios in erster Linie als Produktionspartner in Erscheinung treten und verstärkt auf die Serien-Umsetzung ihrer eigenen Stoffe setzen werden. So plant Universal eine Serien-Umsetzung von „Chucky – Die Mörderpuppe“, während gleichzeitig an einem Reboot für das Kino gearbeitet wird. Aber auch „nur“, weil die Franchise „Child’s Play“ über Jahrzehnte gewachsen und unter Horrorfans etabliert ist. Clive Barkers “Cabal – Die Brut der Nacht” wird ebenfalls als Serie umgesetzt werden, auch weil der Rechteinhaber Morgan Creek Entertainment Group durch ein Rebranding im letzten Jahr den Fokus ihres Archivs auf den Serienmarkt anstatt der Kinolandschaft lenkt. Morgan Creek war sonst nur im Filmbereich tätig. Anstatt Neuverfilmungen ihres Filmarchivs für die große Leinwand, wird dieses nun für Serien-Produktionen durchstöbert.

Als Folge kann man vielleicht davon ausgehen, dass dadurch die Kinolandschaft weiter zur Eventfilm-Rampe umgebaut wird. Und diese wird vor allem von etablierten Filmreihen getragen werden. Marvel, „Star Wars“, James Bond, „The Fast and the Furious“, DC, Harry Potter, „Jurassic Park“. Eben das große Blockbuster-Kino für eine große, globale Masse. Vergleicht man die Jahrescharts von vor dreißig, vierzig Jahren mit den heutigen, so fällt zumindest auf, dass die Filmreihen (Sequels, Prequels, Spinnoffs, etc.) mittlerweile klar dominieren.

„Westworld“: Eine der vielen, vielen hochqualitativen Serien, die man nicht missen sollte…(© HBO)

Dieser drastische Wandel der Medienlandschaft verändert somit auch inhaltlich das Medium Film. Eine Staffel von „Game of Thrones“ kostet rund einhundert Millionen US-Dollar, bietet aber rund zehn Stunden an Unterhaltung, während eine Filmproduktion im Schnitt zwei Stunden auswirft. Man kann viel Zeit mit einer Serie füllen. Und darum geht es letztlich. Den Zuschauer für ein Produkt zu gewinnen, beziehungsweise diesen langfristig zu binden. Das Medium Film wird diesen Wandel sicherlich überleben, aber steht zweifelsohne unter großem Druck. Denn die Produktionsqualität der Serien steigt enorm. Streaming-Serien wie „Westworld“ befinden sich qualitativ auf dem inszenatorischen Niveau eines Kinofilms. Vielleicht sogar darüber. Aber auch hier kommt man um eine Feststellung nicht drumherum: Viele Serien ließen sich eben doch weitaus schnittiger erzählen, wenn man erst einmal das ganze Fett wegschneiden würde… Es gab mal eine Zeit, in der man sehr komplexe und dramatische Reisen eines Charakters innerhalb von neunzig Minuten erzählen konnte. Inklusive Vor- und Abspann sowie der Etablierung der gesamten Welt und all ihrer Figuren. Als Paradebeispiel ziehe ich hierfür oft und gerne eine bestimmte Szene aus Paul Verhoevens dystopischer Action-Farce „RoboCop“ (1987) heran, in der der Protagonist nach seinem Martyrium und seiner Wiedergeburt zum ersten Mal heimkehrt. Die gesamte Zerrissenheit der Figur, das gesamte Drama, wird in einer Filmszene von zweieinhalb Minuten Länge transportiert…

Würde man „RoboCop“ als Serie umsetzen, würde wohl Alex Murphys Wiedergeburt als Cyborg das Ende der ersten Staffel darstellen. Innerhalb des Films hätte man damit gerade einmal die ersten dreißig Minuten inhaltlich abgehandelt.

Die aufgeblasenen Handlungen, die sich anscheinend standardmäßig mittlerweile in zehn bis dreizehn Episoden pro Staffel einer Serie widerspiegeln, führen dann wiederum zur Frage, wer dies alles überhaupt noch sehen soll? Diese Frage stellte ich mir schon einmal vor einem Jahr in einem Artikel. Eine Antwort habe ich noch nicht gefunden. Der Tag hat vierundzwanzig Stunden und rechnerisch wäre es innerhalb eines normalen Arbeits- und Familienlebens kaum möglich, alle bedeutenden Serien zu konsumieren. Nun, mit dem von vielen Outlets als seriös eingestuften Gerücht, dass Walmart ebenfalls plant in den Streaming-Sektor vorzudringen, wird es nicht weniger werden. Es wird zu einer weiteren, massiven Aufsplittung der Medienlandschaft kommen. Die Zeiten, in denen ein Millionenpublikum zu einer festen Zeit eine bestimmte Serie sah, sind endgültig vorbei. Als großes, gesamtgesellschaftliches Medienevent wird wohl nur noch der Sport dienen können. Vielleicht einer der Gründe, warum Fox sein Filmstudio verkaufte. Sie wollen sich tatsächlich auf Sportberichterstattung fokussieren.

Der Super Bowl holt immerhin noch seine 100-Millionen-Zuschauer vor die Mattscheibe. Ein Spiel der deutschen Nationalmannschaft bei der WM immerhin noch 27 Millionen Zuschauer. In den 1980er-Jahren schafften die „Schwarzwaldklinik“ oder ein „Tatort“ ähnliche Ergebnisse in (West-)Deutschland. Glaubt man nicht mehr? Die Schwarzwaldklinik-Folge „Die Schuldfrage“ sahen am 17. November 1985 rund 28 Millionen Zuschauer nur im alten West-Deutschland (Gesamtbevölkerung 1985: 59 Millionen). Auch das Serienfinale von „M.A.S.H.“ oder der TV-Film „The Day After“ wurden Anfang der 1980er-Jahre in den USA noch von über 100 Millionen Menschen gesehen. Diese Zeiten sind endgültig vorbei. Das Serienfinale von „How I met your mother“ sahen 11,8 Millionen, was als enormer Hit galt. Diese Entwicklung ist nicht zwingend schlechter, aber es hat kulturell eben auch gesamtgesellschaftliche Auswirkungen. Jeder hockt in seiner Nische. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich viele Klassiker des Phantastischen Kinos nur gesehen habe, weil ich es mir so aussuchte. Nein, sondern weil auf ARD und ZDF tatsächlich nichts anderes lief. Es war nicht wirklich freiwillig, es war ein gewisser Zwang dahinter, da es keine andere Option gab. Wir hatten in den 1990ern nicht anderes. Kein Kino im eigenen Ort und oft nicht genug Taschengeld, um die (einzige) Videothek im Ort jedes Wochenende zu bedienen. Ohne das ZDF hätte ich wohl nie mit 12 Jahren „Planet der Affen“ gesehen. Ein persönlich extrem einprägsames Erlebnis.

Wir werden nun eine Flut von hochqualitativen Serien erleben, die auf zig unterschiedlichen Streaming-Kanälen laufen werden, die man selbstredend alle einzeln abonnieren muss. Oder als größeres Gesamtpaket bei einem Kabelanbieter (wie in Kanada und den USA bereits üblich). Für die deutsche Medienlandschaft könnte dies übrigens auch ein Desaster werden, da sie seit Jahren auf die Zweit- oder eher Drittverwertung vor allem von US-amerikanischen Produkten setzt, eben TV-Serien und Filme aus den USA, und dadurch (auch kulturell) fast schon sträflich die Produktion von hochqualitativen Eigenproduktionen, die global mithalten können, vernachlässigt hat. Netflix, Amazon, Hulu, HBO, Disneys Streaming-Service, vielleicht jetzt auch Walmart, werden den Markt mit ordentlich Kapital versorgen. Kapital, dass selbst die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland nicht zur Verfügung haben. Und Kapital, mit denen sie sich auch künstlerisches Prestige einkaufen können. Nominiert für den Oscar in der Königskategorie „Bester Film“ war 2017 „Manchester by the Sea“. Amazon kaufte dieses Drama ein. Wohl nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Das muss man nicht kritisch sehen, denn Amazon ist selber sehr stolz darauf, dass sie ihre Filme ins Kino bringen (und nicht direkt auf die Streaming-Plattform), was man grundsätzlich nur begrüßen kann (aber nicht muss), dennoch wird es auf die traditionellen Filmstudios, von denen viele auch einen Vertrieb darstellen, weiteren Druck ausüben. Sie müssen mit den Giganten aus vollständig anderen Branchen nun finanziell mithalten. Oder kooperieren.

Es bleibt spannend. Die Medienlandschaft wandelt sich drastisch. Die Auswirkungen betreffen viele Bereiche. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie sie in zehn Jahren aussehen wird. Wir wissen nur, es wird anders sein. Hoffentlich besser. In allen Belangen.

Markus Haage

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Über Markus Haage 2282 Artikel
Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!