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„Texas Chainsaw Massacre“ (USA, 2022)

verfasst am 22.Februar 2022 von Markus Haage

(© Netflix. All Rights Reserved.)

Das Kettensägenmassaker kehrt zurück! Mit „Texas Chainsaw Massacre“ will Netflix, der wohl populärste Streamingdienst der Welt, ein ur-amerikanisches Film-Grauen der 1970er-Jahre in die heutige Zeit übertragen. Hierzu muss die Reihe ein Gros seiner ikonischen Identität ablegen, um das Franchise für ein modernes Publikum aufzubereiten.

Offizielle Synopsis (von Netflix): In dieser Fortsetzung stoßen Influencer, die einer Geisterstadt in Texas neues Leben einhauchen wollen, auf einen berüchtigten Killer mit einer Maske aus Menschenhaut.

Mit „Blutgericht in Texas“ („The Texas Chain Saw Massacre“) zog 1974 endgültig das New Hollywood in das US-amerikanische Horrorkino ein. Der Muff des theatralischen Grauens, personifiziert in fracktragenden Vampiren, die hinter Schlossmauern lauerten, musste weichen. Ein neuer, harter Realismus bahnte sich seinen Weg auf die Leinwand. Kaum ein anderes Werk kann davon dermaßen zeugen wie „Blutgericht in Texas“. Die Independent-Produktion, die über Jahrzehnte in Deutschland beschlagnahmt war (umgangssprachlich: verboten), überzeugte nicht einmal durch nennenswerte Gewaltdarstellungen, sondern wagte es, eine abgrundtief hässliche Seite der Vereinigten Staaten zu präsentieren: nämlich das US-amerikanische Hinterland des Südens, welches in den Jahrzehnten davor nicht nur romantisiert, sondern gar glorifiziert dargestellt wurde. Die gesellschaftlichen Umwälzungen der späten 1960er-Jahre, insbesondere die Bürgerrechtsbewegung, änderten dies und hielten der weißen Mehrheitsbevölkerung den Spiegel vor. Filme wie „Blutgericht in Texas“ stellt dieses in einer radikalen Überhöhung dar. Der Film zeigte nicht die schmutzigen Fingernägel, der Film fokussierte den Schmutz unter den Fingernägeln. Aufgrund der Produktionsbedingungen war dies aber stets tief mit einer realistisch-anmutenden Inszenierung verbunden. Der eigentliche Horror spielte sich damit vor allem in den Köpfen des Zuschauers ab. Eine Gewaltorgie, wie dem Werk oftmals angedichtet wurde, existiert im bahnbrechenden Originalfilm nicht, dafür aber schonungsloser Ekel und Terror. Diese Einzigartigkeit, die vor allem auch den Produktionsbedingungen geschuldet war, kann man nicht kopieren oder imitieren.

Versuch einer ewigen Wiedergeburt: Das „Ledergesicht“ kehrt auf Netflix zurück.
(© Netflix. All Rights Reserved.)

„Blutgericht in Texas“ war ein Kind seiner Zeit und ein Produkt seiner Umwelt. Schöpfer Tobe Hooper verstand dies früh und inszenierte mit der ersten Fortsetzung eine fast schon selbstironische Parodie; nicht nur auf sein Original, sondern auch auf den populären Horrorfilm der späten 1980er-Jahre. Eine gewagte kreative Entscheidung, die bis zum heutigen Tage unter Fans heiß diskutiert wird, aber immerhin künstlerisch einzigartig und inhaltlich konsequent ist. Am Ende sollten sämtliche Antagonisten endgültig sterben. Für Hooper war die Geschichte damit abgeschlossen und er selber besaß nie mehr ein sonderliches Interesse zu ihr zurückzukehren. Hollywood sah dies natürlich anders. Leatherface und seine Familie wandelten sich zu Ikonen des modernen Horrorfilms. In der Logik der Studios somit zu IPs (Identity Properties), die sich aufgrund ihres simplen Wiedererkennungswertes global gewinnbringend vermarkten lassen würden. Es folgten sechs weitere Filme, die das gesamte Repertoire möglicher Fortsetzungen umfassten: Sequels, Prequels, Remakes, Reboots (siehe hierzu auch den Artikel: Die vielen Timelines der „Texas Chainsaw Massacre“-Filmreihe). Sogar ein Spin-Off war mal angedacht, aber wurde nie umgesetzt. Mit Ausnahme der ersten Neuverfilmung von Hollywood-Produzent Michael Bay im Jahre 2003 konnte keines dieser Werke beim Massenpublikum einen besonderen Eindruck hinterlassen, auch wenn sie das Franchise zumindest innerhalb der Horror-Community relevant hielten.

Fast 50 Jahre Terror: Alle vorherigen Filme der Kettensägenmassaker-Reihe.
(© Vortex, The Cannon Group, Inc., New Line Cinema, Columbia Pictures, Millennium Films. All Rights Reserved.)

Nachdem in gewisser Hinsicht somit sämtliche Optionen auf eine weitere Fortsetzung über die Jahrzehnte ausgenutzt wurden – die einzelnen Werke widersprachen sich hierbei übrigens inhaltlich extrem oder ignorierten sich vollends –, entschied sich Fede Álvarez, Regisseur vom Remake „Evil Dead“ (2013), einen neuen „Texas Chainsaw“-Film zu produzieren, der sich ebenfalls nur als Fortsetzung des Originalfilms verstehen möchte und somit ein Legacy-Sequel darstellt. Ein erneutes Remake kam wohl aufgrund des Status des Originalfilms nicht infrage. Auch der Erfolg anderer Legacy-Sequels – man denke hierbei an „Halloween“ (2018) – bestärkte sicherlich die Entscheidung, direkt an die Vergangenheit anzuknüpfen, um sich für die Zukunftzu wappnen. Es scheint der sicherste Weg in einem Genre zu sein, dass seit Jahren der puren Nostalgie verfallen ist. Doch viele Kultfilme, die heute noch von Bedeutung sind, aber vor Jahrzehnten inszeniert wurden, sind nur noch relevant, weil sie eben aus einer anderen Zeit stammen und damit in einem totalen Kontrast zu modernen Produktionen stehen. Tobe Hooper war sich dessen stets bewusst. Man kann sie nicht imitieren, sondern höchstens behutsam erweitern. Fede Álvarez‘ „Texas Chainsaw Massacre“ besaß diesen Anspruch, konnte ihn aber nur mit produktionstechnischen Einschränkungen umsetzen.

Das internationale Poster zum Film.
(© Netflix. All Rights Reserved.)

Im Zuge der Globalisierung muss nun selbst die Produktion einer Ikone des US-amerikanischen Horrorfilms outgesourct werden. Die Dreharbeiten fanden in Bulgarien statt. Nicht mehr unüblich für populäre Horror-Franchises, bereits das Spin-Off-Prequel „Leatherface“ (2017) entstand in Osteuropa, aber atmosphärisch dennoch eine Herausforderung für eine Filmreihe, die visuell enorm von der berühmt-berüchtigten Americana zehrt. Das fiktive texanische Städtchen, in der die Haupthandlung angesiedelt ist, wurde vollends auf einer osteuropäischen Wiese hochgezogen. Eine fiktive Mainstreet wurde erschaffen, die die Ikonen der US-Kleinstadt-Architektur versucht aufleben zu lassen. Der General Store, das Kino, die Industrieanlage, alles ist vorhanden, an einem einzigen, auf ein Minimum konzentrierten Platz. Und egal wie viel Mühe man sich gab, es ist sichtlich erkennbar, dass es sich hierbei nicht um eine natürlich gewachsene Stadt handelt, die über Jahrzehnte Verfall und Verwitterung erlebt hat, sondern um eine Nachbildung. Natürlich produktionstechnisch spektakulär, aber letztlich doch künstlich. Dies spürt der Zuschauer in jeder Einstellung instinktiv. Damit entsteht zwangsläufig ein drastischer Kontrast zum Originalfilm, der alleine schon aufgrund des limitierten Budget verstärkt wird. Dieser wohl unabsichtliche künstliche Effekt verleiht dem Werk aber einen gewissen Charme. Harlow, Texas, oder zumindest der sichtbare Stadtkern, ist eine kleine, verstaubte Schmuckschatulle in der ein untergegangenes Amerika in seinem Verfall auf ewig konserviert wird. Der Handlungsspielraum ist somit enorm eingeengt. Alles von Bedeutung, spielt sich auf den wenigen Quadratmetern dieses heruntergekommenen Marketplaces von Smalltown, America, ab. Auch inhaltlich verwunderlich. Bricht man damit in gewisser Weise mit den etablierten Kanon des Orignalfilms, auf den man sich wohl werbetauglich gerne beruft. Leatherface ist in die Stadt gezogen. Das alte Haus verlassen. Dies ist durchaus konsequent – wurde die alte Heimstätte doch letztlich von der Polizei ausfindig gemacht –, zwingt die Antagonisten allerdings in ein vollkommen neues Setting, welches nur schwerlich das Gefühl des Originals aufleben lassen kann.

Olwen Fouéré als Sally Hardesty: Die einzige Überlebende des Originalfilms kehrt zurück.
(© Netflix. All Rights Reserved.)

Mit der Verlagerung des Haupthandlungsorts in „Texas Chainsaw Massacre“ findet somit eine Art von Bruch statt, der inszenatorisch teils so drastisch ausfällt, dass man die Frage stellen kann, warum man sich nicht gleich an ein erneutes Remake gewagt hat. Denn die inhaltlichen Verknüpfungen zum Original sind eher spärlich gesät und wirken manchmal erzwungen. So kehrt die einzige Überlebende des Originalfilms zurück, die ähnlich wie Jamie Lee Curtis in „Halloween“ sich dem Bösen endgültig entgegenstellen will. Allerdings erfährt man kaum etwas über ihre Lebensumstände. Sally Hardesty, aufgrund des Todes von Originaldarstellerin Marilyn Burns nun gespielt von Olwen Fouéré, bleibt leider eine vollkommen blasse Figur, die weder im Fokus der Handlung steht, noch einen nennenswerten Einfluss auf diese hat, sondern nur eine erzwungen wirkende Verknüpfung zum Original herstellen soll. Der eigentliche Fokus der Handlung liegt auf dem Geschwisterpaar Ruth (Nell Hudson) und Lila (Elsie Fisher). Letztere darf Kraft aus einem traumatischen Erlebnis an ihrer Highschool, einem Amoklauf, ziehen. Aber auch dieses wird kaum handlungstragend genutzt, sondern unterfüttert nur etwas die Dramaturgie. „Texas Chainsaw Massacre“ bleibt damit inhaltlich etwas blass, schafft es kaum neue dramaturgische Ansätze zu finden, auch wenn man bemüht ist, aktuelle soziale Konflikte und kulturelle Phänomene in die Handlung einzuweben. Dafür traut sich das Werk zumindest im Abspann inszenatorische Grenzen zu überschreiten, die überhaupt nicht mehr im Einklang mit dem Original zu bringen sind, aber deutlich aufzeigen, dass in der Grundmythologie genug Potenzial für eine echte Neuverfilmung gesteckt hätte.

Neues Jahrzehnt, neue Opfer.
(© Netflix. All Rights Reserved.)

„Texas Chainsaw Massacre“ ist somit ein Kind zweier Welten. Es möchte dem Dreck des Elternhauses entfliehen und zu neuen Ufern aufbrechen, wird aber stets zurückgezogen. Ein mögliches Sequel – und dies ist wohl ein kleiner, wenn auch nicht überraschender Spoiler – wird im Film bereits angeteast. Vielleicht ist das Werk somit auch als ein finales „Auf Wiedersehen“ an das bald fünfzigjährige Original zu verstehen. Eben der berühmte Brückenschlag in eine neue Zeit. Alleinstehend ist dies schwer zu bewerten und so mag es gut sein, dass ein zukünftiges Sequel nachwirkend dem Film mehr abgewinnen oder bestimmte kreative Entscheidungen in einen besseren Kontext setzen kann. So bleibt vom Werk letztlich ein kompetent und routiniert inszenierter, kurzweiliger und durchweg unterhaltsamer Slasherfilm übrig, der die verrottete Americana nur noch als künstlich-anmutende Kulisse nutzt, die eine neue Generation, mit Smartphones bewaffnet, besuchen und erleiden darf. Die hässliche Seite Amerikas und auch des US-amerikanischen Horrorfilms wird massentauglich aufpoliert. In dieser Hinsicht bleibt der Film zumindest seinen zahlreichen Vorgängern treu: er wird – wie alle anderen Werke der Reihe – auf ewig heiß diskutiert werden.

Markus Haage

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Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!