Fast fünfzig Jahre nachdem die erste „Dungeons & Dragons“-Kampagne gespielt wurde, startet mit „Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“ eine Big-Budget-Adaption in den Kinos, die sich dazu entschied, die Sagenwelten der Vorlage mit einem Augenzwinkern zu inszenieren.
Offizielle Synopsis: Ein charmanter Dieb (Chris Pine) versucht zusammen mit einer Gruppe außergewöhnlicher Charaktere ein verlorenes Relikt zu stehlen. Doch als sie sich mit den falschen Mächten anlegen, sehen sich die Abenteurer einer tödlichen Bedrohung gegenüber.
Mit dem Pen&Paper-Rollenspiel „Dungeons & Dragons“ erschufen Gary Gygax und Dave Arneson 1974 einen Klassiker und Mythos der modernen Phantastik, der tief mit der Nerdkultur der 1970er-Jahre verwurzelt ist. So sehr, dass selbst moderne Netflix-Serien wie „Stranger Things“ (2016–) diese bereits in der ersten Staffel als Teil der Jugendkultur der frühen 1980er referenzierten und „Futurama“ (1999–2003) dem Schöpfer Gary Gygax schon vor 23 Jahren mit einem Cameo honorierte („Anyone wanna play ‚Dungeons & Dragons‘ for the next quadrillion years?“). Und es passt, bereits 1981 setzte man das Pen&Paper unter dem Titel „Wizardry“ für den Apple II als Computerspiel um und 1983 nahm man sich gar einer Adaption des Rollenspiels für das Fernsehen an. Mit „Im Land der fantastischen Drachen“ („Dungeons & Dragons“, 1983–1985) entstand frühzeitig eine Zeichentrick-Variante, die sich einer gewissen Popularität erfreute und 2019 als Hommage für einen Werbespot herhielt. Heutzutage wird selbst diese Serie gerne als Kult verklärt, und auch dies mag vielleicht stimmen, wenn man sich dem Ursprung des inflationär verwendeten Wortes Kult bewusst ist.
Die reißerische und simple Bezeichnung „Dungeons & Dragons“ stammte übrigens weder von Gygax noch Arneson, sondern wurde von Gygax’ Ehefrau Mary Jo Powell formuliert, da der ursprünglich angedachte Titel „The Fantasy Game“ ihr zu langweilig erschien. Mary besaß den richtigen Riecher; letztlich ist die Popularität wohl auch dem simplen Titel zu verdanken, der sich perfekt abkürzen ließ („D&D“) und das komplexe Game auf das herunterbrach, was es im Kern war: eine Reise in eine andere Welt voller Verliese und Drachen. Oder salopp formuliert und frei übersetzt: Abenteuer und Ungeheuer.
„Dungeons & Dragons“ (später „Advanced Dungeons & Dragons“) war stets ein Nischenphänomen, das sich über Jahrzehnte halten konnte. Zahlreiche Generationen aus unterschiedlichen Jahrgängen trafen sich in unregelmäßigen Abständen, um in Partykellern, Garagen oder Gartenlauben in die Welt der Verliese und Drachen zu versinken. Das Konzept blieb stets gleich, weswegen die generationenübergreifenden Erfahrungen sich trotz aller sozialen, politischen und kulturellen Umwälzungen stark ähneln. Das Game stellt eine Konstante dar, welche sämtlichen Veränderungen stand hielt. Es existieren gar Kampagnen von Spielern, die über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten gespielt werden.
Aus einer kommerziellen Logik heraus, waren die Welten von „Advanced Dungeons & Dragons“ (fortan: „AD&D“) natürlich stets dazu prädestiniert, nicht nur als Fernsehserie, sondern auch Filmreihe adaptiert zu werden. Im Zuge der Produktion der „Herr der Ringe“-Trilogie (2001–2003), welche unterstützt durch den Erfolg von Mel Gibsons „Braveheart“ (1995) ein kleines Revival an „Sword & Sorcery“-Filmen initiierte, entstand auch die erste Realverfilmung von „AD&D“ (zu dieser Welle können übrigens in einem weitestgehenden Sinne sogar Ridley Scotts „Gladiator“, Wolfgang Petersens „Troja“ oder Oliver Stones „Alexander“ gezählt werden). Die gesamte Produktion stellt eine Geschichte für sich dar. Nach allen Regeln der Vernunft dürfte „Dungeons & Dragons“ (2000) gar nicht existieren, der Film tut es trotzdem, weil ein 20-jähriger Bengel die Chuzpe besaß, dem Publisher TSR die Verfilmungsrechte abzuschwatzen. Das Ergebnis enttäuschte, nicht nur die Fans, sondern auch das Publikum und die Kritiker. Der Markenname war allerdings stark genug, sodass zumindest für den Direct-to-DVD-Markt noch die beiden Fortsetzungen „Dungeons & Dragons – Die Macht der Elemente“ (2005, „Dungeons & Dragons: Wrath of the Dragon God“) und „Dungeons & Dragons 3: Das Buch der dunklen Schatten“ (2012, „Dungeons & Dragons: The Book of Vile Darkness“) entstehen konnten, deren Budgets allerdings von Film zu Film geringer ausfielen. Vielleicht diente deren Existenz letztlich auch nur noch der Sicherung der Verfilmungsrechte.
Nun sind seit der Premiere der ersten Realverfilmung rund 23 Jahre ins Land gezogen. Die Medienbranche hat sich grundlegend verändert; Franchises basierend auf etablierten Marken bestimmen den globalen Kinomarkt. Auch wenn „High Fantasy“- oder „Sword & Sorcery“-Stoffe es stets nie leicht hatten von einem Massenpublikum angenommen zu werden, ist der weltweite Markt vor allem Dank des Siegeszuges der Streaming-Portale nun divers genug, um alle Subgenres rentabel bedienen zu können. Es war demnach tatsächlich nur eine Frage der Zeit, bis eine erneute Verfilmung von „AD&D“ umgesetzt werden wird. Zahlreiche Kampagnen sind als Storylines vorhanden, die sich auf mannigfaltige Art und Weise inszenieren lassen. Doch diese Masse an Abenteuern, Charakteren, Wesen und Welten zu einer Einheit zu formen, stellt wohl die größte Herausforderung dar. Auch wenn „AD&D“ grundsätzlich dem „High Fantasy“-Subgenre zuzuordnen ist, gibt es in der globalen Community stets Stimmen, die den „Low Fantasy“-Aspekten Tribut zollen wollen.
Eine nicht enden wollende Debatte, die auch noch die kommende Jahrzehnte anhalten wird. Sollte eine Verfilmung rau und frei wie John Milius’ „Conan der Barbar“ („Conan the barbarian“, 1982) sein? Oder eher wie Ridley Scotts „Robin Hood“ (2010) einem realistischen Ansatz verfolgen? Vielleicht lieber als bildgewaltiges Epos inszeniert, wie etwa Peter Jacksons „Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs“ („The Lord of the Rings: The Return of the King“, 2003)? Oder aber vielleicht im Stile von Ron Howards „Willow“ (1987) als heiteres Action-Adventure mit düsteren Elementen? Schon die Vorlage ließ unterschiedliche Interpretationen zu; man stelle nur die Illustrationen der offiziellen Manuals von Keith Parkinson, D.A. Trampier und Clyde Caldwell gegenüber. Unterschiedliche Ansätze basierend auf derselben Vorlage. Man kann deswegen wohl nur scheitern, wenn man nicht versucht etwas eigenes zu kreieren, welches die Vorlage zwar respektiert, aber als Adaption für sich selber stehen und funktionieren kann. Die Neuverfilmung „Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“ („Dungeons & Dragons: Honor among Thieves“, 2023) schafft dies auf teils spektakulär unterhaltsame Art und Weise, gerade weil es mit einem Augenzwinkern geschieht.
Ohne Erklärungen und Umschweife wird der Zuschauer in die Welt(en) von „AD&D“ geworfen. Wohlgemerkt auf eine durchaus charmante Art. Selbst auf die genre-typischen und einleitenden Texttafeln als Erklärungsorgie wird verzichtet. Unsere Titelhelden befinden sich in Gefangenschaft, aus ihrer Perspektive wird nicht nur die Welt, sondern auch ihre Stellung und ihre Beziehungen zueinander in einem rasenden Tempo als natürlicher Teil der Handlung etabliert. „Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“ verschwendet keine Zeit und gibt bereits in den ersten zehn Minuten das Tempo für den Rest des Films vor.
Das Werk erfüllt damit automatisch einen großen Zweck: Anstatt sich auf ein zentrales Thema zu fokussieren, stellt es die Helden seiner Geschichte in den Vordergrund und etabliert nebenbei die Welt, in der sie leben. Eine Welt voller Fabelwesen, Magie und Mythologie, die man nicht nennenswert erklären muss. Sie existiert einfach. Die großen Geschichten werden zudem erst noch erzählt. Hier ist zwar auch ein McGuffin vorhanden, den es als Motor der Handlung hinterherzujagen gilt, aber eben kein „einer Ring“ oder ein generationenübergreifendes Schicksal, welches das Fundament einer epischen Trilogie darstellt. Die Charaktere sind schlicht Teil einer besonderen Welt und ihre Geschichte wird aus ihrer Perspektive erzählt. Natürlich wird bei Erfolg des Films diese Welt massiv ausgebaut werden – an einer Streaming-Serie für Paramount+ wird zeitgleich gearbeitet –, allerdings versteht sich „Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“ in gewisser Hinsicht als Standalone-Werk – oder eben als in sich geschlossene Kampagne – mit einem Anfang, Mittelteil und einem Ende, das sich vollends auf die Charaktere konzentriert. Fortsetzungen und Spin-offs sind möglich, es müsste sie aber nicht geben.
Damit dieses Konzept überhaupt aufgehen kann, muss der Zuschauer die Perspektive der Protagonisten übernehmen. Dies geschieht vor allem durch Humor, der zumindest für erfahrene „AD&D“-Spieler teils die vierte Wand durchbricht. So hält Edgin Darvis (Chris Pine) fest: „We didn’t mean to unleash the greatest evil the world has ever known.“ Ja, so endeten nicht nur viele Sidequests, so begannen auch zahlreiche Kampagnen in Vaters Partykeller. Der humorige Einsatz schafft es selbst die absurdesten Facetten der Welt von „AD&D“ aufzuzeigen, auch wenn vielleicht der ein oder andere Fan diesen Ansatz für zu locker hält. Sicherlich hätte ein Universum, welches die erwähnten Illustrationen von Parkinson, Trampier oder auch Caldwell widergespiegelt hätte, seinen eigenen Charme gehabt, aber der hier präsentierte Ansatz zitiert nicht nur die Gaming-Realität („I am a Planer. I make plans.“ – „He also plays the lute.“), sondern erschafft „nebenbei“ auf charmante (und massentaugliche) Weise ein neues Film-Universum.
Dies ist auch die Stärke – nicht Schwäche! – der Vorlage, deren Welt und Eigenheiten über Jahrzehnte von Spielern aus aller Welt unterschiedlich interpretiert und erlebt wurden. Und ähnlich wie im „Star Wars“-Universum ist es absolut denkbar, dass bei Erfolg in Zukunft auch eine inszenatorisch vielfältige(re) Welt kreiert wird, die sich an unterschiedliche Zielgruppen richten kann, ohne die jeweiligen Ereignisse negieren zu müssen. Die Animationsserie „Star Wars: The Clone Wars“ (2008–2014, 2020) spielt letztlich im selben Universum wie „Rogue One: A Star Wars Story“ (2016) und referenziert sich natürlich nicht nur inhaltlich, sondern gar visuell. Ein ähnliches Konzept wäre auch für die Adaptionen von „AD&D“ wünschenswert. Dass dies funktionieren kann, zeigt übrigens der Film selber auf. Mit einem Augenzwinkern findet sogar die erwähnte Zeichentrickserie „Im Land der fantastischen Drachen“ ihren Platz. Natürlich auf eine recht humorvolle Art und Weise, deren inUniverse-Konsequenz eigentlich ziemlich bitter ist, aber zum Charakter der Vorlage und dem Nerd-Humor seiner Nische passt.
Das Werk verlässt sich fast vollends auf das natürliche Talent seiner Schauspieler, die allesamt perfekt gecastet sind. Aufgrund der Masse an Figuren schafft es „Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“ allerdings nicht immer, das volle dramaturgische Potenzial auszuschöpfen. Auch wenn jede Figur glänzen kann, verlieren sich ihre Geschichten etwas in den zahlreichen Abenteuern und Schauplätzen und müssen letztlich natürlich bei der Auflösung der großen Geschichte etwas in den Hintergrund rücken. Adipöse Drachen, schwurbelnde Magier und sprechende Skelette benötigen eben auch ihren Raum. Erfreulich hierbei ist, dass die Darstellung der phantastischen Welten zu einem bedeutenden Teil auf physische Effekte zurückgriff. Auch wenn der Einsatz digitaler Tricktechnik natürlich im Vordergrund stand, sind die zahlreichen Szenen, die sich auf praktische Effekte berufen, die kleinen Highlights des Werks, die nicht nur an die Hochzeiten der Phantastik mahnen, sondern auch ihren ganz eigenen Charme besitzen.
Man mag monieren, dass das rasante Erzähltempo, die Vielfalt an Figuren und Schauplätze und der humorige Grundtenor zu viel des Guten seien. „Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“ ist vollgestopft mit Ideen und gönnt weder den Charakteren noch den Zuschauern eine Atempause. Aber dass dieser Ansatz dennoch so gut funktioniert, ist vor allem der stilsicheren Inszenierung des Regie-Duos John Francis Delay und Jonathan Goldstein zu verdanken (ersterer war übrigens auch Hauptdarsteller im fantastischen Werk „5-25-77“). „Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“ will das große Abenteuer sein, und dies ist der Film auch. Eine Achterbahnfahrt, in der man in einem Waggon mit Zauberern, Zwergen und Barbaren durch Sagenwelten rauscht. Schlösser und Burgen, von finsteren Magiern bewohnt! Friedhöfe bei Vollmond, auf denen die Toten wieder zum Leben erwachen! Gefängnisse in der Arktis, von Trollen bewacht! Und natürlich … Verliese und Drachen. Oder eben „Dungeons & Dragons“. Das, worum es schlichtweg ursprünglich ging, wie Mary Jo Powell es in weiser Voraussicht schon vor Veröffentlichung des ersten Spiels verstand: Abenteuer und Ungeheuer.
Mit „Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben“ eröffnet Paramount Pictures nicht nur eine neue Fantasy-Welt, sondern bei Erfolg natürlich auch ein neues Franchise, welches sich über die kommenden Jahre auf unterschiedlichen Medien erstrecken wird. Glücklicherweise ist sich das Werk aller Eigenheiten der Vorlage bewusst und zitiert diese auf humorvolle und charmante Weise reichhaltig, sodass kein Film, sondern eine kurzweilige, fast schon rasante Kampagne entstand, die lediglich aufgrund der Masse an Schauplätzen, Mythologie und Charakteren dramaturgische Abstriche machen muss.
‐ Markus Haage
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