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Die originale Pilotfolge von „Game of Thrones“: Wie Westeros ursprünglich aussah

verfasst am 2.Mai 2019 von Markus Haage

Ein Promotion-Poster zur ersten Staffel.
(© HBO, Design von BLT Communications, LLC)

Heutzutage gilt die US-Serie „Game of Thrones“ (2011–2019) vom US-Pay-TV-Sender HBO als Triumph und Meilenstein der Fernsehgeschichte. Publikum und Kritiker scheinen sich einig zu sein. Nicht nur mit Auszeichnungen überhäuft, bricht die finale Staffel derzeit auch sämtliche Quotenrekorde. Bisher erhielt die Serie 138 (!) Emmy-Nominierungen und gewann die höchste Auszeichnung im US-Fernsehen sagenhafte 38 Mal. 17,8 Millionen Zuschauer sahen die dritte Episode der finalen achten Staffel nur in den USA bei der Erstaustrahlung. Für den amerikanischen Pay-TV-Markt eine unerhört immense Zuschauerschaft (zum Vergleich: das Serienfinale von „Lost“ auf dem Free-TV-Sender ABC wurde anno 2010 von 13,5 Millionen Zuschauern verfolgt). Es existiert kaum noch ein Superlativ, um den Erfolg von „Game of Thrones“ zu beschreiben. Doch in den frühen Anfangstagen der Produktion sah es eben nicht nach einem Erfolg aus. Als der Serienpilot, die erste Episode der ersten Staffel, abgedreht war, standen die Showrunner D.B. Weiss und David Benioff vor einem Desaster. Die Serie musste neu erfunden werden.

Bereits im Januar 2006 entstand die Idee zu einer TV-Adaption von George R.R. Martins Romanepos „Ein Lied von Eis und Feuer“, dessen erstes Werk im Original den Titel „A Game of Thrones“ trägt und 1996 veröffentlicht wurde. Der Drehbuchautor David Benioff („Troja“) las den Roman durch eine Empfehlung und kontaktierte seinen Autorenkollegen D.B. Weiss. Beide waren sich einig, dass dies den perfekten Stoff für eine TV-Serie darstellen würde. Nach einem erfolgreichen Meeting mit George R.R. Martin schlugen sie dem Pay-TV-Sender HBO eine Serien-Adaption vor, die von dieser Idee auch angetan waren. Im Januar 2007 begann man diese zu entwickeln. Die ersten Drehbücher wurden verfasst, grünes Licht zur Produktion einer Pilotfolge erhielt man allerdings erst im November 2008.

Tamzin Merchant, die ursprüngliche Daeenrys Targaryen.
(© Kate Merchant)

Die Dreharbeiten zur Pilotepisode begannen am 24. Oktober 2009 und dauerten bis zum 19. November 2009 an. Doch als man diese Folge fertig schnitt und im privaten Rahmen präsentierte, war der Schock groß. Sie stellte einen absoluten Misserfolg dar. Weder war sie packend inszeniert, noch konnte sie inhaltlich die komplexe Welt von Westeros verständlich aufbereiten. Den Zuschauern dieser Pilotfolge war nicht einmal bewusst, dass Cersei und Jamie Lannister Geschwister sind, was aber für das Verständnis des finalen Twists der ersten Folge von fundamentaler Bedeutung ist. Der befreundete Drehbuchautor Craig Mazin, der bei einem privaten Screening dabei war, ging sogar soweit und bezeichnete den Piloten nicht nur als „Desaster“, sondern empfahl Benioff und Weiss auch diesen komplett neu zu drehen. HBO vertraute weiterhin auf die Serie, aber nahm die Kritik ernst. Der Pilot wurde tatsächlich unter einem anderen Regisseur neu gedreht, allerdings erst fast ein Jahr später. Die Verzögerung hatte ihren Preis. Rund 90% des ursprünglichen Materials wurde komplett ersetzt, der Rest teils abgeändert. Kommentare aus dem Off wurden gar eingefügt, um die Beziehungen der Charaktere untereinander zu verdeutlichen. Wenn der König nun nach Winterfell reitet und Ser Jamie Lannister seinen Helm abnimmt, hört man nun die Stimme eines der Stark-Kinder aus dem Off, die verdeutlicht, dass dies der Bruder der Königin ist. Wie erwähnt, für das Verständnis der finalen Szene von großer Bedeutung.

Die Produktionsverzögerung hatte auch drastische Auswirkungen auf den Cast. Es führte dazu, dass vor allem die kindlichen Darsteller zu schnell wuchsen, um für spätere Episoden der ersten Staffel noch zeitlich überzeugend herhalten zu können (im folgenden Promo-Video bei 1:12 sieht man noch eine extrem junge Maisie Williams beim Dreh der Pilotfolge anno 2009). Auch hatten einige Schauspieler des originalen Pilotfilms zwischenzeitlich neue Verpflichtungen angenommen, weswegen sie ihre Rollen aufgeben musste.

Ursprünglich wurde Daenerys Targaryen, eine der Hauptfiguren der Serie, von der englischen Schauspielerin Tamzin Merchant verkörpert. Catlyn Stark, die Ehefrau von Ned Stark, wurde hingegen von der US-amerikanischen Schauspielerin Jennifer Ehle dargestellt, die aufgrund ihrer Kinder eine längere Verpflichtung ablehnte und freiwillig ging. Weitere kleinere Rollen mussten für den drastischen Nachdreh ebenfalls neu besetzt werden. Dennoch schafften es einige Szenen und Momente der originalen Episode in die nun bekannte Fassung. Dies fällt besonders bei der Haarpracht einiger Darsteller auf. Im originalen Piloten trug Sean Bean dunkles, dicht anliegendes und strähniges Haar, welches in einigen Momenten fast schon schwarz aussah. Beim Nachdreh ist sein Haar weitaus prächtiger, blonder und lockerer. Auch die Bildqualität unterscheidet sich drastisch. Die originale Pilotfolge wurde noch auf 35mm-Filmmaterial gedreht, während man sich für den Nachdreh (und allen zukünftigen Episoden) für digitale Kameras entschied.

Oben: Sean Bean im Gespräch mit seinem Serienbruder im ursprünglichen Piloten (auf 35mm-Film gedreht). Eine Szene, die überlebt hat. Das Haar ist weitaus dunkler, fast schon strähnig. Unten: Sean Bean als Ned Stark in den neu gedrehten Szenen mit blonder, lockerer Haarpracht.
(© HBO)

Tyrion Lannister, gespielt von Peter Dinklage, sah im originalen Piloten noch weitaus blonder aus. Die Bordell-Szene mit der Prostituierten Ros zeigt ihn mit blonder Haarpracht, wie es eben für die Lannisters so typisch ist. Diese Szene ist ebenfalls komplett erhalten geblieben, genauso wie ein Gespräch zwischen Tyrion und Sandor Clegane. Tyrions Haare sind blond, Sandors verbrannte Haut erstreckt sich sogar bis zu seinem Hinterkopf und ein blonder Theon schreitet durchs Bild.

Mehr Blond und mehr Narben.
(© HBO)

Auch im Promotionmaterial blieben wenige Momente aus dem originalen Piloten erhalten, die es aber nicht mehr in die veröffentlichte Fassung geschafft haben. Ein sichtlich jüngerer Theon Greyjoy mit blonden Haaren übergibt Ned Stark aus einer anderen Perspektive das Schwert zur Exekution. Bei Theon achte man bitte auf den Kontrast zwischen der letzt genannten und der folgenden Szene, die eben beide noch in der ersten Episode vorhanden sind, aber aus unterschiedlichen Produktionsjahren stammten.

Oben: In der unveröffentlichten Pilotfolge übergibt ein blonder Theon Greyjoy Ned Stark das Schwert. Unten: Gleiche Szene aus einer anderen Perspektive. Theons Haare sind dunkel, die Perspektive wurde geändert.
(© HBO)

Eine der größten Änderungen stellt wohl der Prolog der ersten Folge dar. Ursprünglich eröffnete die Serie noch vor dem Vorspann mit dem Tod von Jon Arryn, der sich durch Gift schwer verwundet in seine Kammer schleppt und versucht einen Raben mit einer Botschaft über die Verschwörung der Lannisters gegenüber der Krone zu entsenden. Arryns Ableben, er wurde absichtlich ermordet, setzt letztlich den Krieg der Fünf König und somit die Geschichte in Gang. Nun beginnt die Serie aber mit einem Trupp Nachtwächtler, die sich hinter die Mauer begeben und dort von den Weißen Wanderern abgeschlachtet werden. Nicht nur wurde die Figur des Roys, dem Anführer des Trupps, neu besetzt, auch sah das ursprüngliche Konzept der Wanderer noch etwas anders aus. Diese Einstellung blieb aber letztlich in der jetzigen Episode erhalten.

Der erste Weiße Wanderer, den der Zuschauer sieht. Das Design stammt noch aus der ursprünglichen Pilotfolge und hat es abgedunkelt in die fertige Serie geschafft.
(© HBO)

Interessant ist auch das Knackgeräusch des Eises, welches man noch heute hört, bevor der Vorspann beginnt. Dies diente nicht der grausigen Atmosphäre, sondern sollte wohl die Sprache der Untoten darstellen. In der Romanvorlage sprechen die Weißen Wanderer miteinander. Linguist David J. Peterson, der die zahlreichen Sprachen von Westeros und Essos für die Serie entwickelte, sah auch genauso etwas vor. In einem Interview mit der Huffington Post aus dem Jahre 2017 sagte er, dass die Sprache der Weißen Wanderer sich wie zerbrochenes Eis anhören sollte. Und genau dies ist noch heute als akustischer Übergang zu hören. Ein Konzept, dass den Nachdreh der Pilotfolge, aber nicht die spätere Entwicklung der Serie überlebt hat. Genauso wie die Klänge von Corvus Corax. Die deutsche Band trat ursprünglich bei den Festivitäten in Winterfell auf. Leider wurden ihre Szenen für den Nachdreh vollständig geopfert. Ein ausführliches Interview zum Dreh findet ihr hier.

Mitglieder von Corvus Corax beim Dreh in Belfast im Oktober 2009 mit Autor George R.R. Martin.
(© Corvus Corax)

Ebenfalls wurden Rückblenden auf die Vergangenheit für den ursprünglichen Pilotfilm inszeniert, die letztlich in einer späteren Episode für eine von Brans Visionen wiederverwendet wurden. Diese Rückblenden zeigten den Thronsaal vom irren König Aerys II. Targaryen, der Ned Starks Vater öffentlich demütigen und unter Gelächter qualvoll hinrichten ließ. Letztlich führte dies zum Fall des Hauses Targaryen und zu den Machtverhältnissen der Gegenwart der ersten Episode. Der Grund für diesen harten Cut war sicherlich die Offenbarung der Vergangenheit an sich. Die Serie lebt von einer gewissen Legendenbildung. So behauptet König Robert Baratheon, dass er den irren König Aerys II. vom Thron stieß, da dessen Sohn seine versprochene Geliebte Lyanna Stark entführen und vergewaltigen ließ. In Wahrheit waren diese aber ineinander verliebt und wurden sogar heimlich vermählt, auch wenn Robert das nicht akzeptieren wollte. Dies gab Robert aber einen offiziellen Grund, um gegen das Königshaus zu rebellieren. Andere Häuser schlossen sich diesem an, nicht weil sie Robert zwingend glaubten, sondern eine Chance zur Machterweiterung sahen. Selbst Ned Stark, bester Freund von Robert, kannte die Wahrheit, doch auch er wusste, dass er nur Rache für seinen Vater ausüben konnte, wenn er einen starken Rückhalt hatte. Diesen garantierte Robert. Hätte man zuviel von der Vergangenheit gezeigt, dann wären all diese Legenden, Mysterien, Interpretationen und Geschichtskittungen verloren gegangen.

Die Hinrichtung von Brandon Stark.
(© HBO)

Folgende Szenen aus der originalen Pilotfolge sind in der ersten Episode fast noch vollständig erhalten geblieben:
• Tyrion Lannister und Ros beim Sex.
• König Robert verlangt in der Gruft von Winterfell, dass Ned Stark die Hand des Königs wird.
• Catlyn Stark macht Sansas Haar zurecht.
• Die Feier in Winterfell mit anschließendem Gespräch zwischen Ned Stark und seinem Bruder. Wobei hier ursprünglich die deutsche Band Corvus Corax auftrat. Auch dies fiel der Schere zum Opfer.
• Ein Gespräch zwischen Tyrion und Sandor Clegane. Für einen kurzen Moment sieht man nicht nur den blonden Theon, sondern auch Cleganes Brandnarben unterscheiden sich deutlich von der späteren Version.
• Der jetzige Prolog enthält zahlreiche Elemente aus der ursprünglichen Pilotfolge, auch wenn ein Darsteller ersetzt werden musste.

Eine große Abänderung betraf noch den Vorspann der Serie. Das nun bekannte und beliebte Intro, welches sogar für die Fußball-WM 2018 in Russland nachempfunden wurde, bestand vorab nur aus einem Raben, der über die markanten Handlungsorte in Westeros flog. Wahrscheinlich war es stilistisch dieser Preview vom Januar 2011 sehr ähnlich.

Auch im späteren Verlauf der Serie kam es zu teils starken Abänderungen. Dies betraf in erster Linie den Cast. So wurde der Berg Gregor Clegane, der mittlerweile Köningin Cersei als Zombie-Leibwache beschützt, von drei unterschiedlichen Schauspielern dargestellt. Daario Naharis musste neu gecastet werden und der Dreiäugige Rabe ebenfalls. Selbst der Nachtkönig wurde in Staffel 4 und 5 noch vom britischen Mimen Richard Brake verkörpert, bis man ihn durch den slowakischen Stuntman Vladimir Furdik ersetzte. Dies sind allerdings Prozesse, die wohl eine jede Serie durchlaufen muss, die über einen Zeitraum von zehn Jahren produziert wird. Interessanter sind die Designunterschiede, in diesem Fall der Kinder des Waldes, auf die ich an dieser Stelle allerdings nicht groß eingehen, aber zumindest zum Abschluss kurz erwähnen möchte.

Oben: Leaf, ein Kind des Waldes, in Staffel 4. Unten: Leaf in Staffel 6.
(© HBO)

Ob die ursprüngliche Pilotfolge jemals veröffentlicht werden wird, darf angezweifelt werden. In einem Interview mit der britischen Zeitung The Guardian sagte Kit Harrington, Hauptdarsteller der Serie, dass die Produzenten Benioff und Weiss ihn schon öfters damit gedroht hätten, die originale Pilotfolge auf YouTube hochzuladen, wenn er sie zu sehr ärgern würde. Dies war natürlich als Scherz gemeint, aber sicherlich hätte Harrington nichts dagegen, wenn die Episode für immer im Tresor bleibt. Denn in der ursprünglichen Pilotfolge trug er noch eine schwarze Perücke, die eben auch wie eine Perücke ausgesehen haben soll. Durch den Nach- oder eher Neudreh, hatte er wenigstens fast ein Jahr Zeit sich die Haare wachsen zu lassen und somit Jon Snows klassischen Look zu etablieren.

Im Nachhinein betrachtet, lernten die Produzenten aus ihren Fehlern und erschufen damit eine der populärsten Fernsehserien der Gegenwart, die für sich in Anspruch nehmen darf, die Fernsehlandschaft auf alle Zeiten transformiert zu haben. Einige Jahre später bestanden bei der philosophischen Sci-Fi-Serie „Westworld“ (2016–) ähnliche Startprobleme, sodass HBO die gesamte erste Staffel in Absprache mit den Machern neu ausrichten und umschneiden ließ. Auch hier hat sich die zusätzliche Mühe gelohnt. „Westworld“ gehört inhaltlich und inszenatorisch zu den anspruchsvollsten Serien auf dem Markt. Als Zuschauer kann man HBO nur dafür dankbar sein, dass sie diesen Mut zur Neuausrichtung besitzen.

Markus Haage

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Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!