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Harlan Ellisons Griff in die „Star Trek“-Geschichte

verfasst am 30.Juni 2018 von Markus Haage

Harlan Ellison ist verstorben (wir berichteten). Eine wegweisende Ikone der Sci-Fi-Literatur als auch einer der streitlustigsten Charaktere der schreibenden Zunft, der nie einem Zwist aus dem Weg ging und bis zum bitteren Ende für seine künstlerische Vision kämpfte. Selbst dann, wenn es nur noch ums Prinzip ging. Ellison besaß immer das letzte Wort. Dies gilt insbesondere für seine Arbeit an einer ganz bestimmten „Star Trek“-Episode. Es folgt ein (grober) Rückblick auf die vielleicht beste und bedeutendste Episode von „Raumschiff Enterprise“…

Zu Ellisons bekanntesten Werken im TV-Bereich zählte die Episode „Griff in die Geschichte“ („The City On The Edge Of Forever“) der Serie „Raumschiff Enterprise“ („Star Trek“, 1966–1969). Hierfür erhielt Ellison nicht nur den prestige-trächtigen Hugo-Award, sondern auch den WGA-Award (eine Auszeichnung der einflussreichen US-amerikanischen Drehbuchautoren-Gewerkschaft). Noch heute gilt „Griff in die Geschichte“ unter vielen Fans als beste Episode der klassischen Originalserie. Aufgrund ihres Inhalts wurde diese Folge erst in den 1980er-Jahren von Sat. 1 in Deutschland veröffentlicht. Vorher strahlte der öffentlich-rechtliche Sender ZDF „Raumschiff Enterprise“ in den 1970er-Jahren aus und nahm die Serie hierbei nicht vollends ernst. Zahlreiche Episoden wurden gar nicht ausgestrahlt (oder überhaupt erst eingekauft), andere wiederum geschnitten oder inhaltlich durch die Synchronisation verändert. Von 79 Folgen schafften es nur sechs ungeschnitten in das deutsche Fernsehen. Sat. 1 änderte dies dann und entwickelte sich rasch zum führenden Trek-Sender Deutschlands. Aber auch Harlans Episode „Griff in die Geschichte“ blieb leider geschnitten.

Kirk und Spock beim „Guardian of Forever“.
(© CBS/Paramount Pictures)

In dieser Episode muss ein Teil der Enterprise-Crew zurück in die Vergangenheit reisen, da diese durch den unter Wahn leidenden Dr. McCoy und einer temporalen Welle verändert wurde. In der neuen Vergangenheit starb die Friedensaktivstin Edith Keeler durch die unabsichtliche Einmischung von McCoy nicht und konnte so den US-Präsidenten erfolgreich davon überzeugen, nicht in den Zweiten Weltkrieg einzutreten. Das Ergebnis: Die Nazis gewinnen, die Föderation wird nie gegründet. Kirk verliebt sich in Edith und versucht sie davon zu überzeugen, dass ihr Pazifismus der falsche Weg sei, auch wenn dieser in diesem Moment und aus ihrer Perspektive als absolut richtig erscheint. Am Ende muss aber auch er den Verlauf der Geschichte akzeptieren. Als Edith verunglückt, muss er sie vor seinen Augen sterben lassen, obwohl er sie retten könnte, damit durch ihren Tod in aller Konsequenz der Kriegseintritt der USA stattfinden kann und die Nazis den Zweiten Weltkrieg nicht gewinnen können.

In einer 60-seitigen Einleitung zu seinem Drehbuch legt Ellison penibel die Entstehungsgeschichte der Episode dar.
(© Open Road Media Sci-Fi & Fantasy)

Harlans Vision konnte aufgrund der seichten Inszenierung der Serie ihr ganzes Potential nicht vollständig entfalten. Dies liegt auch daran, dass Ellison diese im Vorfeld mehrmals abändern musste. Diese Abänderungen sind von ihm penibel dokumentiert. Von Transkripten der Telefongespräche bis zu Telegrammen hat Ellison alles aufgehoben, was relevant bei der Entwicklung des Stoffes gewesen ist. Dies ist in seiner 60-seitigen Einleitung (!) der gedruckten Version seines ursprünglichen Teleplays (Drehbuchs) aufbereitet wurden (siehe Bild links). Sein jahrelanger Zwist mit Gene Roddenberry, Schöpfer von „Star Trek“, geht wohl sogar auf die Entwicklung des Drehbuches für diese Folge zurück. Denn es war Roddenberry der Harlan bat, die Show zu retten. William Shatner ist sogar der Überzeugung, dass er es tatsächlich tat. Und so bot Harlan Roddenberry sogar an, ein Komitee zu gründen, quasi eine Art Writer’s Room, um die Serie inhaltlich zu führen. Diesem sollte sogar Dune-Schöpfer Frank Herbert angehören. Doch nachdem er nach zehnmonatiger Arbeit das Skript fertig geschrieben hatte, meldete sich Roddenberry nie wieder bei ihm. Ellison fühlte sich ausgenutzt und hintergangen, weil er (trotz des Erfolges der Episode) soviele Kompromisse eingehen musste und der geplante Writer’s Room nie umgesetzt wurde. Ellison verkaufte fortan gedruckte Versionen seines ursprünglichen Teleplays (mittlerweile veröffentlichte IDW Publishing sogar eine Comic-Version von Ellisons ursprünglichem Script), während Roddenberry nicht müde wurde und die Abänderungen verteidigte. Noch 2009, 42 Jahre nach der Erstausstrahlung im US-amerikanischen TV, verklagte Ellison den produzierenden Sender CBS, weil er zusätzlich der Überzeugung gewesen ist, dass er finanziell bei der Verwertung benachteiligt wurde. Man fand eine außergerichtliche Einigung.

Das Cover der Comic-Version seines Drehbuchs.
(© IDW Publishing)

Wie erwähnt, war selbst Shatner der Überzeugung, dass die Episode „Griff in die Geschichte“ die Serie, die mit den Einschaltquoten zu kämpfen hatte, rettete. Sicherlich auch, weil sie aufzeigte wie vielschichtig und kontrovers, aber auch wie tiefsinnig und dramatisch eine Episode von „Raumschiff Enterprise“ sein konnte (auch wenn Ellisons ursprüngliche Vision weitaus drastischer gewesen ist). „Griff in die Geschichte“ hob die Serie auf ein inhaltlich vollkommen neues und ungeahntes Level. Es gab keinen klassischen Bösewicht, den es zu bekämpfen galt. Kirk war dazu gezwungen sich selber zu bekämpfen und ein Opfer zu bringen. Nicht nur einfach einen geliebten Menschen vor den eigenen Augen sterben zu lassen, sondern auch weiteres Leid auszulösen (den Kriegseintritt der USA), welches erst Jahrhunderte später zu besseren Zeiten führen wird, aber eben notwendig sei, damit Milliarden Menschen in der Zukunft in Frieden leben können. Ungewohnt vielschichtiger und dramatischer Stoff, wenn man ihn konsequent weiterdenkt, auch da Kirk sich hier klar gegen den (eigentlich absolut verständlichen) Pazifismus stellen muss (und dies als Captain einer Föderation, die die friedliche Erforschung des Universums zum obersten Prinzip erklärt hat). „Star Trek“ eckte mit dieser Episode an, stellte fast schon philosophische Fragen und dessen Charaktere vor ein extremes moralisches Dilemma, für das es keine einfache Lösung gab.

Nebenbei etablierte Ellison in der Episode Nebenhandlungen und Konzepte, von denen gerne behauptet wird, dass viele andere „Star Trek“-Autoren sich daran orientierten oder versuchten, diese zu übertrumpfen. Man nehme nur den Guardian of Forever, eine extraterrestrische Spezies, die alle Vorkommnisse im Universum penibel dokumentiert, auch Veränderungen in der Zeitlinie. Unter Fans gilt die Episode als beste klassische „Star Trek“-Folge aller Zeiten, die viele Themen, für die das Franchise später bekannt wurde, bereits frühzeitig abarbeitete. Es gilt als belegt, dass Roddenberry eine ähnliche Storyline für den ersten „Star Trek“-Film vorschlug und sogar Leonard Nimoy gab an, dass Ellisons Episode die Inspiration für „Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart“ („Star Trek IV: The Voyage Home“, 1988) gewesen ist. Auch findet sich hier eines der Leitmotive des vielleicht besten Trek-Films, „Star Trek II: Der Zorn des Khan“ („Star Trek II: The Wrath of Khan“, 1982), wieder: „Logic clearly dictates that the needs of the many outweigh the needs of the few.“.

Es existierte ein „Star Trek“ vor und nach Harlan Ellisons Episode.

Markus Haage

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Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!