Mit „Late Night with the Devil“ geht der Teufel live auf Sendung. Ein Exorzismus wird im Fernsehen zu später Stunde übertragen und der Zuschauer darf in dieser Mockumentary auf dieses TV-Event, welches „eine Nation schockte“ zurückblicken. Ein faszinierendes filmisches Experiment, welches in einer vollkommen hysterischen Eskalation ufert.
Kurz vor Release war die Empörung groß: Der Indie-Hit „Late Night with the Devil“ (2023) soll mithilfe von K.I. (Künstlicher Intelligenz) entstanden sein. Dies stimmte auch tatsächlich; zumindest im kleinen Detail. Drei Grafiken ließ man unter dem Einsatz von K.I. erstellen und dann – nach eigener Aussage – von Menschenhand noch nachbearbeiten. Dies geschah wohl relativ unbedarft. Man probierte es eben aus. Doch zwischen der Vorproduktion und dem Release verging über ein Jahr. Ein Zeitraum, der die globale Medienlandschaft radikal veränderte. Die Qualität von K.I.-generierten Fotos, Illustrationen und Texten (und mittlerweile auch Videos), nahm eine solch überzeugende Qualität an, dass Kreativschaffende aus allen Bereichen um ihre Arbeitsplätze fürchteten (siehe hierzu: „Der A.I.-Horror: Wie Künstliche Intelligenz die ‚Tyrannei des Mittelmaß‘ fördert […]“). K.I. wurde verschmäht; der Streik der Schauspieler und Autoren Hollywoods startete mit einer gerechteren Entlohnung, nahm sich aber schnell dem Thema Künstliche Intelligenz an. Die Angst ist nicht unberechtigt; Branchenprofis wie Jeffrey Katzenberg schätzen mittlerweile, dass innerhalb der nächsten vier bis fünf Jahre nur im Animationsbereich rund 90 % aller Jobs verloren gehen werden. Doch die digitale Hysterie um „Late Night with the Devil“ wirkte unehrlich. Der Indie-Film wollte keine Arbeitsplätze vernichten oder die (sogenannte) K.I.-„Kunst“ schneller etablieren. Man „spielte“ damit und bereute später den Einsatz (glaubwürdig). Die eigentliche Produktion des Films beeinflusste dies aber letztlich nicht nennenswert. Die Debatte drumherum ist (besonders in ihrer Schärfe) demnach schade; auch, weil das Werk sich als eine große Hommage an eine längst untergegangene Ära des Fernsehens versteht und die Produktion dieses auch durch echtes Handwerk honorierte.
„Late Night with the Devil“ versteht sich als sogenannte Mockumentary, die versucht im Stile einer Dokumentation auf das mysteriöse Geschehen einer „Late Night Show“ in den 1970er-Jahren zurückzublicken. Das Konzept ist nicht zwingend neu – Genre-Kenner werden sich an der Mockumentary „Ghostwatch“ (1992) der BBC erinnert fühlen –; die Präsentation hingegen schon. Akribisch haben die Macher nicht nur versucht eine Cable-TV-Late-Night-Show der 70er bis ins kleinste Detail nachzuempfinden, sondern diese auch augenzwinkernd als erwähnte True-Crime-Dokumentation zusätzlich zu verpacken. Wüsste man nicht, dass es ein Spielfilm ist und würde man die Laufzeit auf 45 Minuten herunterschneiden, so könnte man das Werk sicherlich auch um 23 Uhr auf den bekannten Drittsendern im Kabelfernsehen platzieren. Direkt nach einer Episoden zu „ Die brutalsten Serienmörder Amerikas“ und vor einer Folge von „Die größten Flugzeugträgern der Welt“. Ein Gros des Publikums würde es wohl vielleicht nicht einmal wahrnehmen, dass diese Kurz-Version von „Late Night with the Devil“ dann eine Mockumentary, somit fake, wäre. Allerdings offenbart sich hierbei bereits eine kleine Schwäche des Films.
Gerade weil die Inszenierung so unglaublich authentisch ist, fühlt sich das fertige Werk zu lang an, obwohl es dramaturgisch keine klassischen Längen besitzt. Vielleicht mag dies auch schlicht darin begründet sein, dass die Eskalation der Handlung für die Zuschauer erwartbar ist. Im Gegensatz zu einer echten Dokumentation besitzt „Late Night with the Devil“ keinen echten Überraschungseffekt, wenn man von einem gewissen Twist am Ende absieht. Dass der Exorzismus, der hier „live“ präsentiert wird, sich fast schon ins Bizarre steigern muss, ist schlichtweg erwartbar. Der vergessene TV-Skandal, der eine „ganze Nation schockte“, muss trotz aller Bemühungen schon vor Beginn preisgeben, was letztlich passieren wird. Nämlich eine „Late Night“ mit dem Teufel. Der Film kann gar nicht unter einem ominösen Titel wie etwa „Die TV-Schocker des Jahrhunderts“ laufen; muss den größten Twist schon vor Beginn der Handlung offenbaren. Echte Zweifel an den anfangs vorsichtig zaghaft auftretenden paranormalen Ereignissen, die noch eine gewisse Interpretation offen lassen, können dem Zuschauer deswegen nie kommen. Der Film hat damit in gewisser Hinsicht nur eine Wahl: Ist das Übernatürliche endgültig etabliert, kann nur noch eskaliert werden. Die Flucht nach Vorne. Scheinwerfer werden explodieren, Köpfe werden sich spalten.
Damit dies überhaupt mit einem mitreißenden Spannungsbogen funktionieren kann, setzte das Regie-Duo Cameron und Colin Cairnes auf einen exzellenten Cast. David Dastmalchian gibt in der Rolle des Hosts Jack Delroy vielleicht die beste Performance seiner Karriere ab. Der Film fokussiert sich natürlich vollends auf seinen Charakter. Er ist nicht nur einfach Protagonist; er ist die Handlung. Alles, was geschieht, dient nur seinem Fall. Als tragischer Charakter, der davon besessen zu sein scheint, seine Karriere zu retten, wird Delroy sämtliche Grenzen überschreiten. Dadurch rücken die anderen Figuren etwas in den Hintergrund; werden aber ihrer Funktion dennoch gerecht, ohne nennenswert hervorzustechen. Lediglich die Figur des Magie-Skeptikers Carmichael Haig, gespielt von Ian Bliss, weiß nicht vollends zu überzeugen. Nicht, weil die Rolle schlecht interpretiert, sondern weil die Figur absichtlich extravagant angelegt ist. Es ist ein Charakter, den man nicht leiden soll, obwohl er für den Zuschauer der wichtigste Ankerpunkt gewesen wäre. Eben der Betrachter aus der Realität, der aktiver Teil der Handlung ist, durch seine bloße Präsenz Zweifel am übernatürlichen Spuk sät und damit die Spannung aufrecht erhält. So stellt Bliss‘ Figur aber nun den selbstgerechten Showman mit pseudo-intellektueller Arroganz dar; ein Mix aus Entertainer und Akademiker. Es entwickeln sich nicht nur schnell Antipathien gegenüber dieser Figur, man möchte sogar, dass der Teufel die Regie übernimmt, um wenigstens den Zampano Haig eines Besseren zu belehren. Damit wird in gewisser Hinsicht aber das Konzept des Films unterwandert; das Publikum weiß – wie vorab erwähnt –, dass der Grusel in dieser Pseudo-Realität die Wirklichkeit darstellen muss. Zu keinem Zeitpunkt glaubt man Haigs Bedenken. Die Frage, ob dies alles ein Fake der Quote Willens ist, stellt sich dem Zuschauer nie.
Die vorauseilenden Lobpreisungen hat „Late Night with the Devil“ vollends verdient. Der Film stellt ein gelungenes Experiment dar; kreativ inszeniert und geistreich erzählt. Man kann das Werk lediglich im Detail kritisieren; allerdings muss man sich bewusst sein, dass die gesamte Prämisse – im Grunde bereits die Idee zum Film – den eigentlichen Spannungsaufbau torpediert. Die berühmte Quadratur des Kreises kann erzählerisch somit natürlich nicht vollends gelingen; eine spannungsreiche Fake-Realität zu erschaffen, die den Zuschauer mitzweifeln lässt, scheint aufgrund des Konzeptes bereits unmöglich. Das Regie-Duo Cameron und Colin Cairnes war sich dessen allerdings bewusst und belohnt das Publikum dafür mit einer stetig steigenden Eskalation der Handlung, die beim hysterisch präsentierten Grand Finale eine bittere Konsequenz für ihren Protagonisten in sich trägt.
‐ Markus Haage
Werbung |