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Nachruf: Lieselotte von Velten

verfasst am 19.April 2017 von Markus Haage

„Da, wo nur jemand hinter einer Glasscheibe kassiert, hat das Kino keine Seele mehr.“

Lieselotte von Velten ist gestorben. Ein persönlicher Nachruf.

Den meisten Lesern wird ihr Name kein Begriff sein, für Filmfreunde aus dem Landkreis Helmstedt stellte sie allerdings eine Institution dar. Sie führte über Jahrzehnte das Helmstedter Kino Camera am Holzberg (siehe Bild) sowie das Kino Roxy Lichtspiele. Bis 1974 war sie auch in der Nachbarstadt Schöningen aktiv und führte dort die Parklichtspiele.

Jeder Kinogänger im Landkreis Helmstedt kannte Frau von Velten. Sie leitete bis ins hohe Alter die Helmstedter Kinos. In ihrer sehr langen Kinolaufbahn – bereits in den 1940er-Jahren betrieb sie mit ihrem Mann ein Wanderkino (Frau Von Velten wurde 1923 geboren) – erlebte sie alle Trends und Arten des Kinos mit. Als Wim Wenders 1974/75 seinen Kult-Roadmovie „Im Laufe der Zeit“ drehte, verschlug es ihn auch nach Helmstedt ins Roxy-Kino sowie nach Schöningen in die Parklichtspiele, wo er einige Szenen inszenierte. Frau Von Velten hatte die „jungen Männer vom Film“ (gemeint waren Wenders und Co.) immer gut in Erinnerung behalten, auch wenn ihr der deutsche Autorenfilm der 70er-Jahre nicht so sehr zusagte. Noch 2015 besuchte mich ein französischer Regisseur, der sich auf die Spuren von Wenders Film machte, und auch Frau Von Velten interviewen wollte. Leider war sie zum damaligen Zeitpunkt bereits schwer erkrankt.
Als 1989 nur vier Kilometer weiter die Grenze fiel, akzeptierte sie als Zahlungsmittel bis zur Währungsumstellung auch die Ostmark. Bis in die 2000er-Jahre, als sie bereits über 80 war, nutzte sie einen ehemaligen Propagandakasten der SED im Nachbarbundesland Sachsen-Anhalt als Werbereklame für ihre Kinos. Einmal in der Woche fuhr sie rüber nach Sachsen-Anhalt, um dort das aktuelle Kinoprogramm auszuhängen. Ob es tatsächlich etwas gebracht hat? Das ist egal. Es gehörte einfach dazu. Frau Von Velten lebte Kino und ihr war es wichtig, dass Kino auch weit außerhalb des Kinosaales präsent war.

Meine Kindheitserinnerungen an das Kino sind untrennbar mit ihr verbunden. Ich weiß noch, wie ich als Grundschüler in Helmstedt Nachhilfestunden nehmen musste und dann vor dem Kino immer gewartet habe, dass mich jemand abholt. Frau Von Velten bat mich dann immer ins Kino, wenn das Wetter schlecht war, so dass ich eben nicht draußen in der Kälte stehen musste. Selbstverständlich bin ich nie von alleine in das Kino gegangen. Ich habe immer darauf gewartet, dass sie es mir angeboten hat. Das gehörte sich so.

Eines Tages lief „Das Schweigen der Lämmer“ im Camera-Kino. Frau Von Velten saß während der Vorstellung wie immer auf einem Sofa vor dem Kinosaal und hat dort gestrickt. Sie sagte dann zu mir, dass sie den Film nächste Woche absetzen werde, obwohl dieser sehr erfolgreich sei. Aber sie wolle das ewige, schreckliche Gejaule und Gejammer nicht mehr hören. Damit waren wohl die Dialoge gemeint. Der Ton des Films drang immer lautstark bis in die Verkaufsräume. Ein paar Jahre später hing neben der Verkaufstheke ein Plakat zur Komödie „Wayne’s World 2“. Ein Teil der Werbezeile lautete „Hurlen.“ Viele Kinobesucher verstanden dieses (damals) neumodische Kunstwort nicht. Da Frau Von Velten keine Lust hatte, mit den Besuchern ewig darüber am Verkaufstisch zu diskutieren, hing sie die Werbeplakate zu „Wayne’s World 2“ einfach ab.
Als „Starship Troopers“ 1997 ins Kino kam, war dieser ab 18 Jahren freigegeben. Eigentlich durfte ich ihn noch nicht sehen, da ich noch nicht volljährig war. Sie sah aber in meinen Augen, dass ich den Film sehen MUSSTE und lies mich mit einem Augenzwinkern passieren.

Frau Von Velten begrüßte und verabschiedete jeden Kinobesucher persönlich. Verließ man den Kinosaal, so führte der Ausgang direkt an ihrem Sofa vorbei, auf dem sie eben während der Vorstellung saß und strickte. Das Kino, vor allem das Camera-Kino am Holzberg, war ihr Zuhause und ihr Heim respektierte jeder Zuschauer.

2003 übergab sie im Alter von 80 Jahren die beiden Helmstedter Kinos an ihre Nachfolger Harald Pape und Matthias Torkler, blieb aber weiterhin, so gut wie es ging, aktiv und half mit aus.

In einem Interview mit dem Kölner Journalisten Klaus Jannowitz sagte sie einmal: „Da, wo nur jemand hinter einer Glasscheibe kassiert, hat das Kino keine Seele mehr.“ Recht hatte sie. Mit ihrem Tod ist ein Stück Kinoseele und -kultur gestorben.

Foto © Pape & Torkler GbR Filmtheaterbetriebe
http://www.klaus-janowitz.de/pdf/Kinos%20im%20Lauf%20der%20Zeit.pdf

Markus Haage

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Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!