Ein Junge gegen den Rest der Welt: In Moritz Mohrs Debütfilm „Boy kills World“ will Bill Skarsgård mit seinen bloßen Fäusten durch eine ganze Diktatur prügeln. Dies muss natürlich gelingen, aber hier auf eine inszenatorisch wundervoll eigenwillige Art und Weise.
Offizielle Synopsis: Der taubstumme Krieger Boy kennt nur ein Ziel: Die Tyrannin zu stürzen, die einst Boys Familie eiskalt töten ließ und die Bevölkerung mit perversen TV-Shows in Schach hält. Doch der Weg zum Sieg ist äußerst blutig …
Der Genrefilm blüht auf – zumindest im Low-Budget-Bereich – oder das, was wir vor wenigen Jahren noch als Low-Budget bezeichnet hätten. Die technische Revolution und die ökonomischen Veränderungen am Markt ermöglichen es nun auch kleinen Produktionen sich inszenatorisch weitaus größer verkaufen zu können und global vermarkten zu lassen. So verwundert es auch nicht, dass das Kinojahr 2024 bisher ganz im Lichte eben dieses Genrefilms stand. Mit wenigen Ausnahmen größerer Produktionen, wie etwa „Dune Part Two“ (2024) oder (etwas unerwartet) „Godzilla x Kong: The New Empire“ (2024), sind es Filme wie „Civil War“ (2024), „Late Night with the Devil“ (2024), „Immaculate“ (2024), „Das erste Omen“ („The First Omen“, 2024), „Monkey Man“ (2024) oder auch „Love Lies Bleeding“ (2024), die für den meisten Gesprächsstoff sorg(t)en. Nachdem über Jahre hinweg die Big-Budget-Franchises den globalen Markt bestimmten – als Exempel kann hierfür stets das niemals enden wollende multimediale „Marvel Cinematic Universe“ herhalten – und wohl mit Filmen wie „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ („Indiana Jones and the Dial of Destiny“, 2024) oder „The Flash“ (2023) fielen, scheint nun eine neue Ära angebrochen zu sein: die Renaissance des Genrefilms auf der großen Leinwand. Wilde, unangepasste Visionen; zwar streng budgetiert, aber dafür mit einem kreativen Risiko versehen, das sich größere Produktionen nicht mehr leisten können oder wollen. In diese Sparte gehört auch „Boy kills World“ (2023).
Die ursprüngliche Idee zum Film entwickelte sich bereits im Jahre 2016. Ein Concept-Trailer wurde gedreht, der so gut war, dass er bei Veröffentlichung des ersten Promo-Bildes zum fertigen Film noch auf zahlreichen Webseiten als Trailer zu eben diesem Film präsentiert wurde. Bemerkenswert; denn zeugt es von der Qualität dieses Proof-of-Concepts, welcher wirklich nur dazu dienen sollte, intern Investoren für das Projekt zu gewinnen. Dies schien mit Bravour geklappt zu haben. Ganze neun Produzenten sollte das Team von „Boy kills World“ letztlich umfassen (Sam Raimi, Zainab Azizi, Roy Lee, Wayne Fitzjohn, Simon Swart, Stuart Manashil, Dan Kagan, Alex Lebovici, Reza Brojerdi); darunter auch Genrefilm-Legende Sam Raimi. Wohl Fluch und Segen zugleich. Die Finanzierung eines solchen Projekts kann damit gesichert werden, die Umsetzung lastet dann aber stets auf vielen Schultern. Auf der Deutschland-Premiere des Films am 20. April 2024, die während der Fantasy Filmfest Nights stattfand, erwähnte der deutsche Associate-Producer Reza Brojerdi, dass dies mit einem gewissen Preis einherging. Alle Produzenten besaßen ein Mitspracherecht; brachten eigene Ideen ein oder lehnten die Vorschläge anderer ab. Das Ergebnis dieser Teilhabe spürt man: „Boy kills World“ stellt eine wahrhaftig wilde Tour de Force dar, die vor unterschiedlichen Ideen nur so strotzt …
In einer fiktiven Zukunft wird ein Waisenjunge (Bill Skarsgård), nur Boy genannt, dessen Familie von Regierungstruppen massakriert wurde, fernab der Zivilisation von einem namenlosen Martial-Arts-Kämpfer (Yayan Ruhian) großgezogen. Täglich wird er über Jahre teils gnadenlos in der Kampfkunst darauf trainiert, im Namen seines Mentors Rache an der Herrscher-Familie zu nehmen. Insbesondere an der Matriarchin und Diktatorin Hilda van der Koy (Famke Janssen). Und so zieht er auch in einen blutigen Kampf; unwissentlich, dass sein Leben und damit sein bisher einziger Lebenszweck eine große Lüge war.
„Boy kills World“ versteht sich im wahrsten Sinne des Wortes als ein „Beat ‚em Up“-Film. Daraus macht das Werk auch zu keinem Zeitpunkt einen Hehl; im letzten Akt wird dies sogar inhaltlich verdeutlicht. Eine dramaturgische Verbeugung vor der Arcade-Ära findet statt. Dies erscheint inszenatorisch auch nur konsequent – im gesamten Film über fallen visuelle als auch auditive Referenzen an die Klassiker der „Beat ’em up“- und Fighting-Game-Videospiele („Round One. Fight!“) –, dramaturgisch wirkt es allerdings zeitweise als zu konsequent. Scherzte man früher, dass Videospiele als Film nicht funktionieren können, scheint „Boy kills World“ den Spiez nun einfach umzudrehen und aus einem Film ein Videospiel machen zu wollen. Eine Hommage an die 90er-Game-Adaptionen? Erinnerungen an Adaptionen wie „Super Mario Bros.“ (1993) oder auch „Double Dragon – Die 5. Dimension“ (1994) werden wach – und dies ist durchaus als Kompliment zu verstehen –; man möchte es demnach auch glauben. „Boy kills World“ will keine allzu große Zeit mit dramaturgischen Nebensächlichkeiten verschwenden. Der Kampf steht im wahrsten Sinne des Wortes im Vordergrund.
So wird die erschaffene Welt auch nur oberflächlich erklärt. Es handelt sich um einen autoritären Staat, der sich von vielen Müttern und Vätern inspiriert hat. Mancherorts wurden gar Vergleiche zur „Panem“-Reihe gemacht, aber hier soll kein System zum Einsturz gebracht werden, zumindest stellt dies nicht die eigentliche Motivation des Protagonisten dar, sondern einfach nur schlicht Rache genommen werden. Das ist die Mission des Boys; ein klares Ziel mit einem klaren Verlauf. Es werden somit auch nur Konstellationen erschaffen, die eine bestimmte Funktion besitzen: Die Handlung von Level zu Level weiter eskalieren zu lassen. Die Zuschauer erhalten demnach auch nur die notwendigsten Informationen, um der Story folgen zu können; zeitweise sind die eingeführten Charaktere und Orte nur für das jeweilige Level oder Kapitel relevant. Damit offenbart der Film auch eine gewisse Ehrlichkeit. „Boy kills World“ gibt nicht vor, mehr zu sein als er ist: ein selbstironischer „Beat ’em Up“-Actioner, der die Videospiel-Historie auf der Leinwand zelebrieren möchte. „Style over Substance“ ist die Devise und diesbezüglich liefert der Film ab.
Die simpel gestrickte Handlung wird aufwendig in Szene gesetzt. Das Produktionsteam rund um den deutschen Regisseur Moritz Mohr nutzte ihre Chance, um ihr Können nicht nur einfach zu präsentieren, sondern in jeder Einstellung auch zu zelebrieren. Blut fließt, Knochen brechen und Käsereiben … nun, tun das, wozu sie geschaffen wurden: sie reiben. Was in „Evil Dead Rise“ (2023) nur einen kurzen Ekel darstellte, wird hier in Slow-Motion präsentiert. Zeitweise so ausgiebig, dass man fast von einer Parodie sprechen könnte. Dieser Vulkanausbruch an Kreativität geht zulasten der Dramaturgie; „Boy kills World“ ist sich gelegentlich uneins, ob er sich selber, seine Welt und Charaktere vollends ernst nehmen möchte oder eben nicht. Aber auch die wildeste Persiflage kann als liebevolle Hommage verstanden werden. Das (Gesamt-)Werk scheitert an diesem selbst auferlegten Balance-Akt nicht, weil es den Gesetzmäßigkeiten eines Arcade-Games radikal ehrlich folgt. Dies sollte dem Zuschauer spätestens ab dem Mittelteil bewusst sein.
Die dramaturgische Schwäche verzeiht man als Zuschauer somit gerne, weil sie oftmals charmant mit einem Augenzwinkern geschieht. Lediglich beim finalen Twist verstolpert sich der Film etwas; versucht nicht nur etwas zu gewollt zu überraschen, sondern auch die gesamte Geschichte aus einer vollkommen neuen, anderen Perspektive zu betrachten. Dennoch offenbart sich neben den Arcade-Einflüssen mit diesem Twist auch eine weitere Inspiration: das süd-ost-asiatische Kino der 2000er-Jahre. Man möchte meinen, dass Moritz Mohr und sein Team sich mit „Boy kills World“ auch vor dem Kino von Park Chan-wook oder Takashi Miike verneigen wollten. War dies ihre Intention, so kann dies durchaus als gelungen bezeichnet werden, auch wenn die erzählerische Eleganz etwas verloren geht. Der große Twist wird mit einem Brecheisen herbeigeführt. Aber auch dies passt auf seine ganz eigene Art und Weise zum Konzept des Films.
Auch wenn der präsentierte Wahnsinn sich zeitweise schwer damit tut, eine echte dramaturgische Einheit zu formen, kann sich „Boy kills World“ stets auf seine inszenatorischen Stärken verlassen. Das Resultat stellt ein Potpourri an Ideen, einen Moshpit der Kreativität dar.
‐ Markus Haage
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