Die große 80er-Sause geht weiter: In einem absichtlich künstlich wirkenden Abziehbild der fiktiven 1980er-Jahre, rotten sich Serienmörder in einer Selbsthilfegruppe zusammen, um Jagd auf den jungen Redakteur einer Horrorfilmzeitschrift zu machen. Ein inszenatorisch wilder und stets selbst referenzierender Ritt durch ein ganzes Film-Jahrzehnt, der selbst seine gewissen Limitierungen selbstbewusst ausnutzt und damit unheimlich viel Spaß – oder eben „vicious fun“ – macht.
Offizielle Synopsis: Der Horrorfilmjournalist Joel (Evan Marsh) will im Jahre 1983 eigentlich nur der Affäre seiner insgeheim verehrten Mitbewohnerin nachspüren, findet sich aber nach einer durchzechten Nacht plötzlich in einer Selbsthilfegruppe voller fragwürdiger Personen wieder. Was an sich schlimmstenfalls unangenehm wäre, entpuppt sich jedoch als ziemlich bedrohliche Situation. Tatsächlich ist Joel in einer Gruppe von Serienkillern gelandet, die nicht nur Redebedarf zu haben scheinen, sondern ihre Taten auch umsetzen wollen …
Der kanadische Regisseur Cody Calahan hatte bereits vor mehreren Jahren mit dem Horrorfilm „Let her out“ (2016) auf sich aufmerksam gemacht. Zum Durchbruch reichte es zwar noch nicht, aber zur Refinanzierung weiterer Projekte. Mit „The Oak Room“ und dem vorliegenden „Vicious Fun“ konnte er 2020 gleich zwei weitere Spielfilmprojekte unter seiner Regie veröffentlichen. Während „The Oak Room“ noch auf sich warten lässt, konnte „Vicious Fun“ hierzulande gar im Kino präsentiert werden. Gewisse Parallelen unter seinen Werken sind stets vorhanden. So ist Calahan ein Kind der 1980er-Jahre. Nicht nur biologisch, sondern auch spirituell. Alle seine Filme versinken in einem Meer aus Dunkelheit, welches nur von einzelnen Neon-leuchtenden Inseln erhellt wird. Mit „Let her out“ und „The Oak Room“ bediente er sich aber nur ästhetisch diesem Jahrzehnt, mit seinem neuesten Werk „Vicious Fun“ steigt er nun auch inhaltlich in die tiefsten 80ies ab. Die Rahmenhandlung hätte selbstredend auch in der Gegenwart angesiedelt sein können, allerdings würde dem Film somit wohl viel Charme verloren gehen. Denn Calahan inszeniert die 1980er-Jahre wie ein Bühnenstück – alles wirkt künstlich, niemals vollends überzeugend echt –, aber genau dies macht es inszenatorisch so spannend. „Vicious Fun“ wirkt wie eine Rekonstruktion einer vergangenen Epoche, die nur noch über popkulturelle Erinnerungen erschaffen werden kann. Einen musealer Ausstellungsraum einer historischen Sammlungspräsentation, der sich abgeschottet von der Realität seine eigene nostalgisch-verklärte Vergangenheit schafft. Wählscheiben, Kassettenrecorder, Print-Magazine, Westen, Jeansjacken, verrauchte Polizeireviere. Es ist natürlich eine gefakte Vergangenheit, eine Kopie einer lediglich ehemaligen filmischen Realität, die von Regisseuren wie John Carpenter, William Lustig, Walter Hill oder auch Wes Craven erschaffen wurde. Ein Abziehbild eines Abziehbildes, aber wunderschön überhöht und durch den (vielleicht nicht beabsichtigten) künstlichen Look des Films noch drastisch verstärkt.
Der Film bedient sich natürlich auch bei seinen Charakteren gewissen popkulturellen Vorbildern. Der Look des Protagonisten offenbart dieses sofort. Die Jeansjacke inklusive roter Weste des Hauptcharakters Joel ist eine sich fast schon selbsterklärende Referenz. Eine Beleidigung für den Leser wäre es, diese Hommage nun zu erklären, aber auch jenseits der Leinwand fischt der Film im großen Becken der Popkultur. Die Antagonisten, eine Bande von Serienkillern, entsprechend allesamt gewissen Klischees und spiegeln gar reale Vorbilder wider. Wohlgemerkt nicht alle. Hier vermischt Calahan Historie mit zeitgenössischer Folklore. Der kannibalische Japaner Hideo (Sean Baek), der seine Opfer als Fünf-Gänge-Menü ansieht, steht sicherlich Pate für die grausamen Taten von Issei Sagawa im Jahre 1981. Der tumbe muskelbepackte Hüne Mike (Robert Maillet) spricht indes davon, am liebsten mit einer Hockeymaske und Machete morden zu wollen, für die zahlreichen Slasherikonen der Mitt-80er herhalten können, wohingegen sich die Schizophrenie eines „American Psychos“ in Bob (Ari Millen), dem Yuppie-Anführer der Antagonisten, wiederfindet. Ein Best-of der Psychopathen, aus dem fiktiven aber eben auch realen Leben. Somit deckt „Vicious Fun“ diesbezüglich sogar quasi die gesamte Dekade ab und nicht nur das Jahr 1983, welches übrigens in der Realität auch noch weitaus eintöniger und weniger grell war. Es ist ein Potpourri an 80s-Culture, wovon ein Film alleine heutzutage natürlich nicht mehr leben kann; egal, wie liebevoll oder anspruchsvoll dies inszeniert sein mag. Calahan verlässt sich allerdings zum Glück nicht nur auf die ewige Referenz, die dem Zuschauer ein gewisses Wohlgefühl bereitet, sondern präsentiert eine kleine Achterbahnfahrt, die kaum verharren möchte.
Die wenigen Settings, die der Film nutzt, teilen das Werk fast schon in Kapiteln oder eher Akte auf (was den Eindruck des erwähnten Theaterstücks prinzipiell verstärkt). So als ob man einen alten EC-Comic aufschlagen und eine mehrteilige Geschichte lesen würden. Jedes dieser Kapitel besitzt einen ganz eigenen Höhepunkt und kann den Zuschauer durchaus absichtlich in die Irre führen (es folgt ein leichter Spoiler …). „Vicious Fun“ eröffnet mit einem Mord; eine Szene, die der Zuschauer für einen fiktiven Slasherfilm halten könnte, da im Anschluss der Protagonist, der für die Horrorfilmzeitschrift „Vicious Fanatics“ als Redakteur tätig ist (eine offensichtliche Huldigung an die legendäre „Fangoria“), mit einem Filmproduzenten ein Interview führt, dass teils die Absurditäten und Klischees des 80er-Slasherfilms offenbart. Doch es ist kein Spoof innerhalb des Films, sondern verweist bereits auf einen maßgeblichen Twist innerhalb der Handlung, der der Geschichte einen neuen Dreh gibt. Callahan ist somit bemüht „Vicious Fun“ zwar im Rahmen der Genregrenzen als große Hommage zu inszenieren, nimmt sich aber bewusst genug Freiheiten, um mit diesen nicht nur zu spielen, anstatt sie strikt einzuhalten, sondern auch neue Aspekte abzuringen. Ein schwerer Spagat, keine Frage. Vieles wirkt vertraut, sichtbar künstlich erschaffen, aber durch neue inhaltliche Ideen aufgelockert.
„Vicious Fun“ ist kein neuer Meilenstein des Horrorfilms – dies möchte der Film wohl auch nicht sein –, sondern ein liebevolles Kabinettstück in mehreren Akten. Eine durchweg unterhaltsame Hommage, die teils verspielt ein ganzes Jahrzehnt an Genrefilmen zitiert und mit neuen (aufgrund der Umgebung stets vertraut wirkender) Ideen vermischt. Ein wilder und bunter Ritt durch ein vom Budget begrenztes Setting, aus dem allerdings inhaltlich alles herausgeholt wird, was möglich erscheint. Oder, um es kurzzufassen: „Vicious Fun“ ist tatsächlich ein „vicious fun“.
‐ Markus Haage
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