Willkommen in der Hölle! Wie ein Orkan bricht die Apokalypse über Taiwan herein. Rücksichtslos und bestialisch, fast schon nihilistisch, wird in bunt-poppigen Bildern ein stets eskalierender und unaufhaltsamer Trieb nach Gewalt zelebriert. Ein Film, der keinerlei Erlösung, keine Hoffnung, keine Komfortzone, keinen Safe-Space bietet und jegliche Moral und Ethik fallen lässt, um das Publikum in seiner brutalen, teils absichtlich widerlichen Einfachheit nicht nur herauszufordern, sondern auch zu verhöhnen.
Synopsis: Es fängt alles friedlich an … Ein junges Pärchen, Junzhe (Emerson Tsai) und seine Freundin Kai Ting (Regina Lei), liegt morgens gemeinsam im Bett und streitet sich über Nebensächlichkeiten. Es soll ihr letzter gemeinsamer Moment sein. Ein letzter Augenblick von Intimität und Harmonie. Was nur kurz danach folgt, ist kaum in Worte zu fassen. Eine hochansteckende Seuche rast über den Inselstaat Taiwan. Die Infizierten verwandeln sich innerhalb weniger Sekunden in Rage-Psychos, die mordend und vergewaltigend durch die Städte ziehen. Wahrhaftig niemand ist sicher. Ihre Opfer werden auf teils brutale Art und Weise zu Tode gefoltert. Junzhe, der diesem Wahnsinn alleine ausgesetzt ist, schwört sich, seine Freundin Kat am anderen Ende der Stadt zu finden und zu retten. Dazu muss er sich einem blutrünstigen Wahnsinn ausliefern und in die sprichwörtliche Hölle absteigen …
Bereits vor der deutschen Premiere des Films auf dem „Fantasy Filmfest 2021“ machte „The Sadness“ („Ku bei“, 2021) auf internationalen Festivals seine Runde. Der deutsche Vertrieb Capelight Pictures ließ vorab verlauten, dass die „Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft“, kurz „FSK“, sich weigerte, der ungeschnittenen Fassung eine „FSK 18“-Freigabe zu erteilen. Nur mit dieser ist das Werk vor einer möglichen Indizierung oder gar Beschlagnahmung (umgangssprachlich: „Verbot“) geschützt. Natürlich wird Capelight Einspruch erheben und versuchen eine Freigabe zu ermöglichen. Wenn nicht, so wird „The Sadness“ wohl dennoch mit einer „SPIO/JK“-Freigabe ungeschnitten veröffentlicht werden, aber die bloße Erwähnung der gescheiterten Freigabe – wohlgemerkt in einer Zeit, in der Mainstream-Filme wie „Halloween Kills“ (2021) eine Freigabe erhalten –, rief natürlich teils absurde Spekulationen hervor, was denn das Werk für den Genrefilm-erfahrenen Zuschauer bereithalten könnte. Nun, fast schon euphemistisch ausgedrückt ist „The Sadness“ eine Mahnung an die vermeintlich glorreichen „CAT-III“-Zeiten des Hongkong-Kinos der späten 1980er- und frühen 1990er-Jahre. Realistisch umschrieben ist Regisseur Rob Jabbaz’ Debütfilm aber eigentlich ein abscheulicher Abstieg in die Hölle, der den Ekel, die Empörung und vielleicht sogar die Ablehnung des Publikums durch seine Antagonisten noch verhöhnt. Ein Film, der vielleicht weder geliebt noch bewundert werden möchte.
„The Sadness“ drückt den Zuschauer oft an den Rand der Verträglichkeit. Nicht nur die exzessiven Gewaltdarstellungen sorgen für Unwohlsein, sondern auch die simple Tatsache, dass diese von Wesen vollführt werden, die sichtlich Spaß am Martyrium ihrer Opfer haben. Hohn und Spott begleiten diese in ihren letzten Minuten, was sich natürlich auch auf den Zuschauer überträgt. Es gibt keine Gnade, keine Hoffnung, keine Zurückhaltung, keinerlei Moral. In einhundert Minuten lässt der kanadische Regisseur Rob Jabbaz alle Abscheulichkeiten los, die das Budget und seine Vorstellungskraft hergeben konnte. In einem Video-Statement wies er darauf hin, dass er versuchte einen ehrlichen und keinen zynischen Film zu inszenieren und dies glaubt man ihm durchaus. Denn die für ein westliches Publikum grenzensprengende, fast schon nihilistische Gewaltorgie ist in ihrer Einfachheit und Konsequenz dermaßen aufrichtig, dass man ihr kaum noch den Vorwurf machen könnte, dies lediglich aus Sensationslust so direkt zu inszenieren. „The Sadness“ hätte vielleicht sogar ohne explizite Gewaltdarstellungen aus künstlerischer Sicht besser funktionieren können oder dadurch zumindest weitaus mehr Anerkennung erhalten. In einem Interview (als Teil der offiziellen Pressemappe) sagte Jabbaz: „Wir sind so daran gewöhnt, extrem brutale Filme zu sehen. Wir erleben die Gewalt als eine Form der Katharsis. Und deshalb wollen die Leute unterhaltsame und leicht konsumierbare Gewalt sehen. Ich habe Rezensionen zu meinem Film gelesen, in denen die Leute bedauern, dass mein Film so unbequem ist. Es stört sie, dass diese sexuelle und realistische Gewalt darin vorkommt, da ihnen der Film ohne diese Komponenten deutlich mehr Spaß gemacht hätte. Aber genau das wollte ich nicht machen.“
Jabbaz reißt den Zuschauer somit absichtlich in einen Orkan aus Hass und Gewalt, Hohn und Spott, den er natürlich zum Finale hin drastisch eskalieren lässt. Die Blutströme, somit die grafische Wucht der Gewalt, werden nicht mehr, aber der menschenverachtende Terror in seiner Individualität, den einzelnen Momenten, extremer. Und diese korrumpiert letztlich alle Charaktere, ob infiziert oder nicht. Sogar die vermeintlich guten Menschen, sehen sich in dieser neuen Welt zu Taten gezwungen, die sie unter normalen Umständen niemals vollzogen hätten. Gewalt korrumpiert dermaßen, dass man überrascht ist, dass der Film nicht mit einer finalen Auslöschung allen Lebens durch eine Atombombe endet. Quasi die radikale Lösung, die nur noch einen kompletten Neuanfang zulassen würde.
Was „The Sadness“ somit auszeichnet sind demnach nicht einmal die derben Gewaltdarstellungen, die Genrefans vor allem aus zahlreichen ostasiatischen Independentfilmen der 1990er-Jahre kennen (wenn auch nicht in einer solchen inszenatorischen Qualität), sondern die Motivation der Antagonisten, die vollkommene Befriedigung, sogar Freude, bei ihren bestialischen Taten empfinden. Die Verhöhnung der Opfer durchbricht mitunter die sogenannte vierte Wand. Nicht, indem die Rage-Psychos den Zuschauer direkt ansprechen, sondern durch eine gezielte Fokussierung auf ihre eigene Reaktion, die Freude am Martyrium, das Empfinden des Publikums angreift. Somit ist der Zuschauer in gewisser Hinsicht dem Wahnsinn – vor allem auf der großen Leinwand – gefühlt ebenfalls ausgesetzt und kann diesem kaum entfliehen. Denn Jabbaz präsentiert uns hier keine normalen Zombies, auch wenn „The Sadness“ oftmals falsch als „Zombiefilm“ kategorisiert wird (der Verleiher wird sogar mit dieser falschen Kategorisierung), oder auch keine einfachen Infizierten, wie wir sie aus Werken wie Danny Boyles „28 Days Later“ (2002) kennen, sondern eine gänzlich „neue“ Gattung, die untereinander kollaboriert und vollends Emotionen empfindet. Ihr Sadismus stellt eine gewisse Befriedigung dar. Der Drang zu exzessiven Gräueltaten eine Genugtuung. Würde man diese Welt weiterspinnen – und es ist durchaus vorstellbar, dass eine Fortsetzung folgt –, so würde eine Welt entstehen, in denen sich die Menschen zu Bestien weiterentwickelt haben, die ihren primitivsten Instinkten ohne jegliche Moral oder Ethik nachgehen. Denn in wenigen Momenten zeigt der Film, dass die Rage-Psychos, wenn sie keine Jagd auf Menschen machen, sich auch untereinander ihren Lüsten hingeben. Sie verharren somit nicht, sondern ruhen höchstens nur, was sie im Kern natürlich menschlicher als traditionelle Zombies erscheinen lässt. Vielleicht auch einer der Gründe für die Empörung: In ihrer Grausamkeit spiegeln sich zahlreiche menschliche Abgründe wider – Mord, Vergewaltigung, Boshaftigkeit, Zynismus –, die dem Zuschauer bewusst sind und somit weitaus stärker herausfordern. Vielleicht einfach nur die konsequente Eskalationsstufe innerhalb eines Sub-Genres des Horrorfilms, das durch populäre Horrorserien wie „The Walking Dead“ (2010–2022) trotz drastischer Gewaltdarstellung die Norm für den Mainstream geworden ist.
Wie erwähnt, ist diese Idee nicht zwingend neu, sondern erinnert vom Konzept her an George A. Romeros „Crazies“ („The Crazies“, 1973) oder eher noch an Garth Ennis‘ Comicreihe „Crossed“ (2008–2010), die seinerzeit bei Veröffentlichung für nicht weniger Empörung gesorgt hat und inhaltlich noch weitaus drastischer und konsequenter als „The Sadness“ war. Die Rage-Psychos in „The Sadness“ sind somit nur eine konsequente Weiterentwicklung des alten Zombies. Eine Figur der Horror-Mythologie, die sich stets in einem Wandel befand und immer neu interpretiert wurde. Übrigens eine Weiterentwicklung, auf die in aller Konsequenz zumindest in Zügen schon Romero im Verlauf seiner Zombie-Hexalogie hinarbeitete. Man denke hierbei nur an den Zombie Big Daddy (Eugene Clark) in „Land of the Dead“ (2005), der die Untoten koordiniert wie ein Moses in ihr „Heiliges Land“ führen wird. Als Einschub ein Video zu dieser Evolution seitens Romero.
„The Sadness“ bietet keine Erlösung, keine Hoffnung, keine Komfortzone, keinen Safe-Space. Es ist ein unbequemer Film, dem man aufgrund seiner reißerischen Darstellung schnell Zynismus vorwerfen möchte. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass Regisseur Rob Jabbaz bewusst auf eine sanftere Inszenierung, vielleicht kunstvoll anspruchsvoll verpackt, verzichtete. Eine Inszenierung, die ihm vielleicht weitaus mehr Anerkennung eingebracht hätte. Und so präsentiert er einen Film voller Hass und Wut, Primitivität und gnadenloser Härte, der mit seinen teils poppig-bunten Bildern auf den Zuschauer im Kinosaal unaufhörlich einschlägt. Denn die Zelebrierung der Gewalt in all ihrer rohen und teils gehässigen Härte spiegelt sich natürlich in der Realität wider. In der Wirklichkeit ist sie bloß hinter Gardinen versteckt, aber eben nicht weniger brutal, demütigend oder abstoßend. Sie findet statt, wenn auch hinter geschlossenen Türen. So ist es dann eben wohl doch kein Zufall, dass der nette Nachbar von Nebenan, der stets seine Blumen pflegt, und der angesehene Geschäftsmann, der sich zurückhaltend gibt, unter den Antagonisten die Führung übernehmen und ihre Opfer, die für den Zuschauer im Fokus der Handlung stehen, die brutalste Erniedrigung erfahren müssen. Dies zu realisieren ist trotz aller exzessiver Gewalt und Primitivität der eigentlich größte Schockmoment des Films.
‐ Markus Haage
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