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„65“ (USA, 2023)

verfasst am 21.März 2023 von Markus Haage

(© 2023 CTMG. All Rights Reserved.)

In einem Werbespot einer bekannten Parfüm-Marke konnte Adam Driver noch einem Pferd davonlaufen, aber kann er auch vor einem Dinosaurier wegrennen? Das Sci-Fantasy-Spektakel „65“ klärt eine Frage auf, die niemand vorab stellte, aber dessen Antwort vor allem für Genrefans höchst unterhaltsam ist.

Offizielle Synopsis: Nach einem katastrophalen Absturz auf einem unbekannten Planeten, stellt der Pilot Mills (Adam Driver) schnell fest, dass er eigentlich auf der Erde gestrandet ist… vor 65 Millionen Jahren. Gemeinsam mit der einzigen anderen Überlebenden Koa (Ariana Greenblatt), versucht er, sich einen Weg durch ein ihnen völlig unbekanntes Gelände voller gefährlicher, prähistorischer Kreaturen zu bahnen.

Auch wenn „65“ (2023) an den Kinokassen kommerziell wohl leider keinen großen Eindruck hinterlassen hat, ist der Film vielleicht dennoch als Teil eines Wandels anzusehen. Mit „Scream VI“ (2023), „M3gan“ (2023) und „Cocaine Bear“ (2023) dominierten kleinere Genrefilme die Kinocharts dieses (noch jungen) Jahres und sorgten für den meisten Gesprächsstoff. Nicht zu vergessen seien auch Indie-Smasher wie „Terrifier 2“ (2022) oder „Winnie the Pooh: Blood and Honey“ (2023), die es zeitweise gar in die Top Ten der US-amerikanischen Kinocharts schafften. Sicherlich, „Avatar: The Way of Water“ (2022) als globales Kino-Fest konzipiert, sollte man nicht unerwähnt lassen, dennoch scheint ein Trend darauf hinzudeuten, dass das Publikum vom großen, endlosen Event-Kino müde wird.

Die enttäuschenden Einspielergebnisse der letzten Superhelden-Filme lassen zumindest diese Vermutung zu. Weder „Black Adam“ (2022) und „Shazam! Fury of the Gods“ (2023) aus dem Hause DC konnten das Publikum nennenswert begeistern, noch die Marvel-Produktionen „Black Panther: Wakanda Forever“ (2022) oder „Ant-Man and the Wasp: Quantumania“ (2023). Auch scheint die Begeisterung für die bereits über Jahre hinweg angekündigten weiteren Ableger nachzulassen. Marvel Studios sah sich nicht nur dazu gezwungen, ihren Release-Kalender abzuändern, sondern auch geplante Disney+-Serien einzustampfen und Führungspersonal zu entlassen. Davon profitieren die kleinen, unabhängigen Produktionsstudios, die ihre Werke den Majors als Vertrieb anbieten. Nicht nur Blumhouse, die seit Jahren hochwertige Genreproduktionen produzieren, sondern auch Ghosthouse Pictures von Sam Raimi, der bei „65“ als Produzent in Erscheinung tritt. Es sind diese kleinen Genrefilme im Mid-Budget-Bereich, die es sich leisten können, wilde Geschichten zu erzählen, weil sie eben keine anonyme, globale Masse X begeistern und dafür glattgebügelt werden müssen. Dazu gehört sicherlich auch das vorliegende Sci-Fantasy-Spektakel „65“.

Mills (Adam Driver) wandert durch den prähistorischen Forst.
(© 2023 CTMG, Inc. All Rights Reserved.)

Mit einem Oscar®-nominierten A-Lister als Zugpferd, konnte „65“ während der Corona-Pandemie unter verhältnismäßig simplen Bedingungen produziert werden. Das Werk konzentriert sich vollends auf den Überlebenskampf seiner beiden Protagonisten. Andere Figuren tauchen nur in Erinnerungen auf. Ihre Beziehungen zueinander dienen als dramaturgisches Fundament und natürlich Motivation, um die Charaktere über ihre Grenzen hinauswachsen zu lassen. Es ist sicherlich kein Kammerspiel, denn „65“ ist darauf bedacht, die Handlung und damit ihre Orte stets voranpreschen zu lassen, hätte es aber durchaus werden können.

Diese simple, aber effektive Konstellation zeigt hervorragend auf, welch große Settings in kleinen Geschichten stecken können, die noch vor wenigen Jahren wohl nur auf der Mattscheibe jenseits von Mitternacht hätten existieren können. Man erinnere sich hierbei an grandiose Anthologie-Serien wie etwa der 80er-Run von „Twilight Zone“ („Twilight Zone“, 1985–1989) oder aber natürlich auch „Outer Limits – Die unbekannte Dimension“ („The Outer Limits“, 1995–2002). Insbesondere letztere kommt dem Genre-affinen Zuschauer beim Betrachten von „65“ stets in den Sinn. „65“ hätte auch als 45-minütige Episode oder gar Zweiteiler (natürlich mit Staffel-übergreifenden Cliffhanger) funktionieren können. Dies ist wahrhaftig keine Abwertung der Produktion, sondern ein pures Lob. Die Handlung als auch die Höhepunkte sind perfekt getaktet; der Film weiß, was er sein will, verfolgt sein High-Concept stringent, und zelebriert dies auch selbstbewusst ernst. Mit einer Laufzeit von 93 Minuten ist „65“ kein aufgeblasenes Epos, sondern ein rasantes, in sich geschlossenes Abenteuer. Weder Prequel, noch Sequel werden folgen oder waren je geplant. Die Geschichte wird erzählt, auf kurzweilige und unterhaltsame Weise.

Als humanoider, aber außerirdischer Raumfahrer muss sich Mills (Adam Driver) nicht nur mit der prähistorischen Wunderwelt der Erde herumschlagen – einer eigentlich feindlichen, weil ungezähmten Natur –, sondern auch mit dessen Untergang. Der Kometenschauer, der sein Raumschiff zur Bruchlandung zwang, wird letztlich auf die Erde niederregnen und die Ära der Dinosaurier beenden. Eine gelungene Verknüpfung, auch, weil man bemüht ist, keine irdische Kopie einer außerirdischen Zivilisation vorzunehmen. Dies geht sogar so weit, dass die einzigen beiden Überlebenden des Absturzes unterschiedliche extraterrestrische Sprachen sprechen. Eine bewusste Barriere zwischen ihnen, die den Aliens nicht nur eine kulturelle Tiefe gibt, sondern auch charmant gelöst wird und den größeren dramaturgischen Bogen unterstützt. Mit der Waisen Koa (Ariana Greenblatt) hat Astronaut Mills eine Motivation zu überleben, auch wenn er diese nur widerwillig annimmt und dazu seine eigenen Traumata überwinden muss. In den zahlreichen kleinen Momenten zahlt es sich aus, einen Charaktermimen wie Adam Driver in der Hauptrolle gecastet zu haben. Sein Spiel macht den Unterschied zwischen Pulp und Phantastischen Kino, ohne dabei aber die B-Movie-Wurzeln zu verneinen.

Mit außerirdischer Technik gelingt vielleicht das Überleben.
(© 2023 CTMG, Inc. All Rights Reserved.)

Der Antagonist von „65“ ist nicht nur die Zeit, die gnadenlos heruntertickt, sondern natürlich auch die Natur. Es existieren keinerlei Zivilisationen, sondern nur prähistorische Lebewesen, die die außerirdischen Bruchflieger natürlich als Beute ansehen. Sie sind Tiere und werden auch so dargestellt. Fressen und gefressen werden, lautet das Credo der Urzeit. Die feindliche Umgebung wird vollends anerkannt, vor allem in zahlreichen kleinen Momenten überraschend detailliert und ehrlich aufgezeigt. An die Luft der Erde müssen sich die Lungen erst einmal gewöhnen und ein putziges Dinosaurier-Baby, welches man aus Empathie vorab befreite, ist letztlich nur leichte Beute für die fleischfressenden und hinterhältigen Artgenossen. Diese werden tatsächlich als Monstren dargestellt, da der Film eben auch aus der Perspektive der Außerirdischen erzählt wird. Die Dinosaurier sind für sie selber extraterrestrische Kreaturen, die sich kaum erklären lassen. Manche haushoch, andere wiederum klein wie eine Maus. Bei der Darstellung der Riesenechsen verzichtete das Regie-Duo Scott Beck und Bryan Woods aber auf eine realistische Umsetzung; oder zumindest auf eine Interpretation, die mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft einhergeht. Die Dinos tragen kein Federkleid, sondern präsentieren sich so, wie man sie seit über einhundert Jahren aus dem Phantastischen Kino kennt. Sicherlich auch als eine kleine Verbeugung vor der Historie der Phantastik und weniger als Ignoranz gegenüber den realen Forschungen zu verstehen. Selbst Steven Spielbergs „Jurassic Park“ (1993) ging diesen Weg, erkannte aber in späteren Filmen, wie dem dritten Teil, an, dass es sich bei den Riesenechsen um Mutanten und keine realen Repliken handelte („Was damals John Hammond und inGen im Jurassic Park herstellten, sind genetisch konstruierte Themenpark-Monster gewesen.“). Erst der sechste Teil der Reihe, „Jurassic World: Ein neues Zeitalter“ („Jurassic World: Dominion“, 2022), traute sich, die Dinos in einem Federkleid zu präsentieren. Demnach befindet sich „65“ in guter Gesellschaft.

Nicht nur die Natur wird ihr Feind sein …
(© 2023 CTMG, Inc. All Rights Reserved.)

Mit „65“ kehrt ein High-Concept-Film in die Kinos zurück, der sich keinen unnötigen dramaturgischen Ballast auflädt, um mehr zu sein, als er eigentlich ist: Eine in sich abgeschlossene, stringent erzählte und mit reißerischen Schauwerten ausgestattete Sci-Fantasy-Story, die nicht nur an die Hochzeiten der Anthologie-Serien mahnt, sondern sich vielleicht auch als Teil einer kleinen Renaissance des Genrefilms auf der großen Leinwand versteht.

Markus Haage

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Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!