Als Robert Oppenheimer im Jahre 1965 in einem Fernseh-Interview gefragt wurde, wie er auf seine Entwicklung der Atombombe zurückblicken würde, zitierte er die hinduistische Schrift „Bhagavad Gita“ mit den Worten: „Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten.“ Ein freies Zitat, welches man nun ebenso frei auf das zurückliegende Kino-Wochenende übertragen kann.
Mit „Barbie“ (2023) von Warner Bros. Pictures und „Oppenheimer“ (2023) aus dem Hause Universal Pictures starteten zwei Major-Studio-Filme weltweit in den Kinos, die nicht unterschiedlicher hätten sein können, und deren Erfolg exemplarisch belegen könnte, dass das globale Massen-Publikum sich nach neuen, innovativen und auch herausfordernden Stoffen sehnt. „Barbenheimer“, wie die Fans den gleichzeitigen Start beider Filme tauften, ist vielleicht tatsächlich nicht nur der „Zerstörer von Welten“, sondern auch der Zerstörer ganzer Universen; nämlich endlosen Cinematic Universes, die das Kino und die Film-Industrie die letzte Dekade bestimmten.
Es sollte einer der größten Sommer-Blockbuster des Jahres werden: „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ („Indiana Jones and the Dial of Destiny“, 2022). Das letzte große Abenteuer einer der größten Leinwand-Ikonen der 1980er-Jahre. Doch das Publikum wollte nicht so recht; blieb dem Streifen weitestgehend fern. Der Event-Film, mit einem wahnsinnigen Budget von über dreihundert Millionen US-Dollar ausgestattet, floppte zwar nicht vollends, blieb aber weit hinter den Erwartungen zurück und wird seine Produktions- und vor allem weltweiten Marketing-Kosten wohl nicht mehr an der Kinokasse einspielen können.
Auch die „Fast & Furious“-Reihe musste einen Abschwung hinnehmen. Spielte „Furious 7“ (2015) noch wahnsinnige 1,5 Milliarden US-Dollar ein und der achte Teil, „The Fate of the Furious“ (2017), noch 1,2 Milliarden US-Dollar (nicht inflationsbereinigt), so schaffte der erste Teil des finalen Zweiteilers, „Fast X“ (2023), „nur“ noch knapp 704 Millionen. Inflationsbereinigt gar 200 Millionen US-Dollar weniger (!) als das Spin-Off „Fast & Furious Presents: Hobbs & Shaw“ (2019) vier Jahre zuvor. Das Box-Office von „Fast X“ stellt zwar immer noch eine hohe Summe dar, aber ist auch hier, gemessen am Budget, den Marketingkosten und den Erwartungen, zu gering. Gleiches gilt auch für „Transformers: Aufstieg der Bestien“ („Transformers: Rise of the Beasts“, 2023), den siebten Teil der seit 2007 laufenden Filmreihe, der ein Box-Office von 423 Millionen US-Dollar einfahren konnte. Selbst das Spin-Off „Bumblebee“ holte anno 2018 inflationsbereinigt noch 145 Millionen US-Dollar mehr ein.
„Mission: Impossible – Dead Reckoning Part One“ (2023), der nunmehr siebte Teil der Reihe, wurde aufgrund eines ausufernden Budgets auf zwei Filme aufgesplittet. Auch er sollte die Sommer-Saison triumphal einleiten und enttäuschte zumindest zum Start in gewisser Hinsicht. Wurde Tom Cruise dank des unerwarteten Erfolges des Sequels „Top Gun: Maverick“ (2022), welches sogar für einen Oscar® in der Königskategorie „Bester Film“ nominiert wurde, noch letztes Jahr als „Retter von Hollywood“ bezeichnet, setzte nach dem Release des neuesten Abenteuers von Ethan Hunt (Tom Cruise) nun wieder eine gewisse Ernüchterung ein. Die Marke „Mission: Impossible“ hat nach 27 Leinwand-Jahren an Zugkraft verloren. Letztlich wird „Dead Reckoning Part One“ sich wohl noch retten und vielleicht langfristig die 600-Millionen-Dollar-Grenze durchbrechen können, aber wenn dies geschehen sollte, dann gerade weil das Werk im Franchise-Kino inszenatorisch noch eine gewisse Alternative bietet und sich eben als echter Event-Actionfilm mit realistischen Schauwerten von den CGI-generierten Schlachten der Comic-Heroen abhebt.
Dennoch geht man trotz eines möglichen Box-Offices von mehr als 600 Millionen US-Dollar nicht mehr davon aus, dass der Film im Kino seine Kosten einspielen wird („[…], and it’s also unlikely that Paramount will manage to turn a profit during the theatrical run.“). Denn die großen Franchise-Blockbuster sind in Wahrheit oft behäbige, fette Monster, die lediglich durch die Kino-Landschaft walzen und ein Gewicht von mehreren Hundert Millionen US-Dollar Budget mit sich herumtragen. Ihr Ziel war es vordergründig Merchandise zu verkaufen. Darin lag der Umsatz mit der größten Marge und demnach dem größten Profit. Einer der Gründe, warum Zack Snyders DCEU eingestampft wurde. Die Filme spielten zwar Profit ein, aber verkauften kaum Merchandise. Dies war aber vor allem das tragende Geschäftsmodell der Superhelden-Filme, welches von den neusten Entwicklungen nun besonders hart getroffen wird.
Spätestens seit „The Avengers“ (2012) dominierte das Superhelden-Kino die Leinwände als auch Produktionsstätten der Major-Studios. Marvel Studios entwickelte eine regelrechte Produktions- und Release-Formel, die sie vom Konzept her über mittlerweile 32 Kinofilme stets wiederholten (seit 2008, dem Start des MCUs, wurden über sechzig Superhelden-Filme im Big-Budget-Bereich veröffentlicht; in Zahlen: 60). Doch seit dem Ende der sogenannten Infinity-Saga, die mit „The Avengers: Endgame“ (2019) in einem regelrechten Box-Office-Triumph aufging, geriet selbst Marvel ins Stolpern. Der Markt wurde mit den Abenteuern der Heroen regelrecht überflutet – alleine für den Streaming-Dienst Disney+ wurden bisher über zehn Marvel-Serien mit mehreren Staffeln produziert –; die derzeit veröffentlichten Filme können weder bei den Fans noch den Kritikern punkten. Die Euphorie des Publikums schwindet spürbar. Selbst mit der Wiederkehr von Michael Keaton als Batman und der Wiederbelebung von Nicolas Cage als Superman in „The Flash“ (2023), konnte Konkurrent DC keine Begeisterung mehr auslösen. Der Film hat weniger eingespielt als der viel gescholtene „Green Lantern“ (2011) zwölf Jahre zuvor (und dies nicht einmal inflationsbereinigt!). Marvel Studios ist sich diesem Wandel vollends bewusst und hat intern bereits gehandelt. Das gesamte Cinematic Universe soll neu aufgestellt und der Output reduziert werden, doch es bleibt zweifelhaft, dass dies kommerziell gelingen mag. Die Ära des Superhelden-Kinos ist sicherlich nicht beendet, aber das Zeitalter der endlosen Franchises wohl hingegen schon. Zumindest deuten die vergangenen Tage darauf hin.
Das letzte Box-Office-Wochenende war bemerkenswert. „Barbie“ spielte auf einen Schlag 340 Millionen US-Dollar ein, während „Oppenheimer“ sensationelle 174 Millionen US-Dollar umsetzte. Zwei Filme, die nicht unterschiedlicher hätten sein können. Versteht sich „Barbie“ als feministische Pop-Comedy, bedient „Oppenheimer“ auf Nolan’eske Weise das Erzählkino. Hinzu kommt der kontroverse Independent-Hit „Sound of Freedom“ (2023), der nur in den USA bereits bei einem Einspiel von 124 Millionen US-Dollar steht. Somit wird alleine diese unabhängige Produktion, die durchaus kritisch bewertet wird, in den USA mehr Geld einspielen als „Fast X“. Die großen Big-Budget-Fließband-Filme floppen indes reihenweise oder performen zumindest weit unter den Erwartungen. Setzt eine Superhelden-Müdigkeit ein? Nein, wohl eher eine Franchise-Fatigue, denn es betrifft nicht nur die Comic-Heroen. Ewige Fortsetzungen ohne Anfang und Ende, Spin-Offs, Prequels oder Legacy-Sequels scheinen (außerhalb des Horror-Genres) ausgedient zu haben. Das System implodiert; das Publikum möchte wohl neue und innovative Geschichten sehen. „Barbie“ und „Oppenheimer“ als auch „Sound of Freedom“ bieten dies. Genauso wie die unzähligen kleineren Genrefilme (oft aus dem Horrorbereich), die in den letzten zwölf Monaten (gemessen an ihren Produktionskosten) abräumten.
„Barbie“ und „Oppenheimer“ luden zu einem Event ein. Von Fans als „Barbenheimer“ getauft, wurde das Release der Filme am selben Tag zu einem Ereignis hochgejazzt. Natürlich ursprünglich rein scherzhaft gemeint – eben eine Albernheit in den Tiefen des Internets geboren und für die Studios letztlich Gratis-Promotion –, doch offenbart auch dieser schlichte Joke eine Sehnsucht des Publikums nach neuen Stoffen. Insbesondere Geschichten, über die es wert ist, zu diskutieren. Das globale Franchise-Kino wurde inhaltlich glattgebügelt und visuell geplättet, um die größtmögliche, anonyme Masse X an weltweiten Zuschauern zu begeistern. Es fehlten jegliche Ecken und Kanten. Selbst eine Großproduktion wie „Avatar: The Way of Water“ (2022) konnte zwar wahnsinnige 2,3 Milliarden US-Dollar einspielen, bot aber keinerlei Gesprächsstoff mehr. Der Film existierte nur noch, kam und ging wieder. Der Besuch der Fortsetzung fühlte sich wie eine Art von Pflichtveranstaltung an. Man musste ihn sehen, aber nicht darüber reden; im Gegensatz zu den vielen kleinen Genrefilmen, die zum Diskurs einluden. Exzentrische Visionen wie „Smile – Siehst du es auch?“ (2022), „M3gan“ (2023), „Cocaine Bear“ (2023), „65“ (2023) oder „Evil Dead Rise“ (2023). Die Major-Studios haben verlernt, solche Stoffe nicht nur zu produzieren, sondern auch zu vermarkten. Sie sind ganz auf die Tentpole-Filme, die Big-Budget-Franchise-Blockbuster getaktet. Dass dieses einmal ganz anders war, beweisen zahlreiche vergangene Filmjahre. Denn der Franchise- und Streaming-Wahn hat auch das Mid-Budget-Kino vernichtet.
Werke wie „Das Schweigen der Lämmer“ („Silence of the Lambs“, 1991), „Philadelphia“ (1992) oder auch „Sieben“ (1995) scheinen heute undenkbar. Nicht nur die Produktion seitens eines Major-Studios in einer bestimmten Masse, sondern auch die großflächige Promotion dazu. Niemand investiert mehr fünfzig Millionen Dollar in die Promotion eines Dramas oder eines Thrillers. Somit können diese Werke nicht wachsen, ihr Publikum nicht finden; weder Kult, noch Klassiker werden. Im Frühjahr 1995 waren bei den Oscars® in der Kategorie „Bester Film“ die Werke „Pulp Fiction“ (1994), „Forrest Gump“ (1994), „Die Verurteilten“ („The Shawshank Redemption“, 1994), „Quiz Show“ (1994) und „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ („Four Weddings and a Funeral“, 1994) gleichzeitig nominiert. Im Jahr danach waren es Filme wie „Ein Schweinchen namens Babe“ („Babe“, 1995), „Apollo 13“ (1995) oder „Braveheart“ (1995). Was für eine Variation und was für ein wundervolles Exempel für eine Zeit, in der vollkommen unterschiedliche Stoffe für die große Leinwand und ein großes Publikum produziert wurden. Die vom Budget her größten Filme, die dieses Jahr noch anstehen, sind allesamt Franchise-Filme und Superhelden-Verfilmungen. So etwa die Fortsetzungen „The Equalizer III“ (2023) und „The Expendables 4“ (2023), die Prequels „Die Tribute von Panem: The Ballad of Songbirds & Snakes“ („The Hunger Games: The Ballad of Songbirds & Snakes“, 2023) und „Wonka“ (2023), das Legacy-Sequel „Der Exorzist: Bekenntnis“ („The Exorcist: Believer“, 2023), als natürlich auch die Comic-Franchise-Streifen „Blue Beetle“ (2023), „The Marvels“ (2023), „Kraven the Hunter“ (2023) und „Aquaman and the Lost Kingdom“ (2023). Nur zur Erinnerung: Dieses Jahr kamen bereits fünf Superhelden-Filme in die Kinos. Diesen Output kann man ruhig einmal in den Kontrast zum Filmjahr 1989 stellen. Sicherlich existierten auch schon damals Franchise-Filme, aber die Variation der Werke kann dennoch für sich stehen. Und dies ist nur eine Auswahl.
Der temporäre Erfolg von „Barbie“ und „Oppenheimer“ mahnt daran, dass innovative Geschichten, die Risiken eingehen, wieder für ihren Mut vom Massenpublikum belohnt werden. Dies galt auch schon für Werke wie „Joker“ (2019) oder „Dune“ (2021); nur versanken diese in ihrer Wahrnehmung noch im ewigen Franchise-Sumpf; natürlich auch, weil sie oder ihre Welten letztlich Teil von Franchises waren. Man kann nur hoffen, dass die Studios die richtigen Lehren aus dem Erfolg ziehen. Es braucht die großen Geschichten mit echten Visionen auf der Leinwand, die Risiken eingehen – inhaltlich, inszenatorisch als auch ideologisch – und mit einem dementsprechenden Budget für die Produktion als auch Promotion ausgestattet werden. Und ja, Big-Budget-Filme können oder sollen natürlich ideologisch oder politisch sein. Als Zuschauer möchte man doch von anderen Sichtweisen herausgefordert werden. Weswegen geht man ansonsten ins Kino? Die Konformität der Franchise-Filme, insbesondere des Superhelden-Kinos, hat zu einer Filmlandschaft voller Belanglosigkeiten geführt.
Ob man die Filme nun mag oder nicht, der Erfolg von „Barbie“, „Oppenheimer“ und auch „Sound of Freedom“ ist für das Kino erst einmal eine gute Nachricht; für Marvel Studios, Lucasfilm und Co., die die Leinwand in einen Fernseh-Bildschirm verwandeln wollten, wiederum nicht.
‐ Markus Haage
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